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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Eltern zusammen in die Ferien zu
fahren, und tatsächlich war es auch das letzte Mal. Früher im selben Sommer war
ich mit einer meiner Freundinnen schon in Frankreich gewesen; dieser
Campingurlaub jetzt fiel in die letzte Augustwoche, und weil das Wetter noch
schön war und ich keine große Lust hatte, eine Woche lang allein zu Hause herumzuhocken,
beschloss ich mitzufahren.
    Unser Zeltplatz lag direkt am
Ufer des Coniston Water. Er war für Wohnwagen und Zelte geöffnet, und es gab
einen modernen Sanitärblock mit Toiletten und Duschen. Meine Eltern hatten ein
großes Familienzelt mit zwei getrennten »Schlafzimmern«, wir hatten es also
einigermaßen bequem, auch wenn ich kein großer Fan des Lebens hinter Zeltwänden
bin. Die Sims stellten ihr Zelt (das um einiges kleiner war) in ein paar Metern
Abstand zu unserem auf, die Eingänge lagen einander gegenüber, so dass der
Raum zwischen den Zelten eine Art gemeinsamen Bereich bildete. Hier machten wir
jeden Abend ein Lagerfeuer, um das wir uns dann versammelten, um zu Abend zu
essen und uns zu unterhalten. Manchmal holte mein Bruder Chris seine Gitarre
heraus, aber Gott sei Dank fing er nicht an zu singen oder so etwas. Er saß
einfach nur mit entrücktem Blick da und zupfte seine melancholischen Mollakkorde.
Er und Max waren in einem Alter, in dem Jungen sich heillos in Mädchen
verlieben, und Chris hatte sich in ein Mädchen von meiner Schule verguckt. Ich
hatte ihm gesagt, dass er absolut chancenlos war, aber er hörte nicht auf mich.
    Und auch Max machte mir einen
leicht liebeskranken Eindruck - und wenn ich mich nicht ganz gewaltig irre,
war er in mich verknallt.
    Obwohl ich Max seit vielen
Jahren kannte, war mir erst in letzter Zeit aufgefallen, wie erwachsen er
geworden war, und dass im Lauf dieser Entwicklung ein ziemlich gut aussehender
Junge aus ihm geworden war. Er war zwei Jahre jünger als ich, das heißt, ich
hätte die Finger von ihm lassen müssen, aber seine Verliebtheit schmeichelte
mir, und wenn ich ganz ehrlich bin, war Max einer der Gründe gewesen, warum ich
überhaupt auf diesen Familienurlaub mitgekommen war. Aber dem armen Jungen
mangelte es total an Selbstvertrauen. Meine Taktik war, ihn zappeln zu lassen
und den größten Teil der Woche so gut wie gar nicht zu beachten. Ich hoffte, ihn
auf diese Weise dazu zu bringen, seine Absichten deutlicher zu zeigen, aber er
nahm mein Verhalten wohl für bare Münze und dachte einfach nur, dass ich nichts
von ihm wollte.
    Ziemlich bald fiel mir auf,
dass die Familiendynamik der Sims sich erheblich von der unserer Familie
unterschied. Max und seine Mutter waren sich extrem nahe. Sie bemutterte ihn,
schien ihn ständig füttern zu müssen - verhalf ihm beim Essen zu reichlichen
Nachschlägen, kaufte ihm im Laden Schokolade oder Weingummis oder andere Süßigkeiten.
(Trotzdem war er sehr schlank. Er war in einem Alter, in dem Jungen alles in
sich hineinstopfen können, was sie wollen, ohne auch nur ein Gramm Fett
anzusetzen.) Seinem Vater dagegen schien Max alles andere als nahe zu sein.
Überhaupt machte Mr Sim den Eindruck, als stünde er weder seinem Sohn noch
seiner Frau nahe. Er war ein sehr stiller, in sich gekehrter Mann, mit dem man
schwer ins Gespräch kam. Er arbeitete an einem College in Birmingham als
Bibliothekar, aber Max hatte mir erzählt, dass sein Vater eigentlich viel
lieber ein Dichter geworden wäre. Unter anderen Dingen war mir in dieser Woche
an ihm aufgefallen, dass er immer ein Notizbuch mit sich herumtrug, in das er
häufig Eintragungen machte. Als wir an einem Abend alle um das Feuer versammelt
waren, konnte mein Vater ihn sogar überreden, uns eines der Gedichte aus seinem
Büchlein vorzulesen. Mir war es furchtbar peinlich, als ich das hörte, und ich
befürchtete schon, irgendwelchen gereimten Stuss über die Bienen und die
Blumen und den Sonnenschein zu Gehör gebracht zu bekommen. Stattdessen las er
uns ein ziemlich gutes Gedicht vor. Ich verstehe zwar nicht viel von Lyrik, und
dieses Gedicht war nicht ganz leicht zu verstehen, aber es war wenigstens nicht
platt oder banal oder so etwas. Ich hätte nicht einmal genau sagen können,
wovon es handelte, aber es transportierte diese besondere Atmosphäre - eine
Atmosphäre von Verlust und Bedauern und etwas, das mit der Vergangenheit zu tun
hatte, einer sonderbaren und beängstigenden Vergangenheit. Ich kann mich
erinnern, dass wir alle in etwas verblüfftem Schweigen dasaßen, als er fertig
war. Ich glaube, wir waren alle

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