Coe, Jonathan
manchmal, wenn sie
mitten in der Nacht Angst bekam, war sie in mein Bett gekrochen und hatte sich
an mich geschmiegt. Und jetzt - nachdem wir seit etwas über sechs Monaten
getrennt lebten - saßen wir uns wie Fremde gegenüber. Wie war das möglich?
Ich wusste es nicht. Ich
wusste nur, dass ich diesen Abend noch nicht aufgegeben hatte, noch nicht. Ich
würde sie dazu bringen, sich mit mir zu unterhalten, und wenn es das Letzte
war, was ich tat.
»Das muss sich doch ganz
anders anfühlen«, sagte ich, »das Leben in -«
In der Sekunde spielte mein
eigenes Handy seine kleine Melodie und verriet mir, dass eine Textnachricht
angekommen war. Ich nahm das Telefon vom Tisch und hielt es mir auf Armeslänge
vor die Augen (es geht inzwischen nicht mehr anders, meine Sehkraft lässt
nach). Die Nachricht war von Lindsay.
»Kannst sie ruhig lesen«,
sagte Lucy. »Stört mich nicht.«
Ich öffnete die Nachricht, und
da stand:
Hi, Sie müssen inzwischen auf dem Meer sein hoffe
alles ist okay melden Sie sich bei Gelegenheit!
Es war nicht die
überschwänglichste SMS aller Zeiten, aber ich hatte seit anderthalb Tagen auf
Nachricht - irgendeine Nachricht - von Lindsay gewartet, deshalb las ich sie
mit einer Erleichterung, die ich nicht ganz verbergen konnte. Von meiner
schnell vorgetäuschten Nonchalance ließ Lucy sich natürlich keine Sekunde lang
zum Narren halten. »Nette SMS?«, fragte sie.
»Von Lindsay«, sagte ich.
Lucys Blick verriet mir, dass ihr das nicht reichte, also fügte ich hinzu:
»Jemand aus meiner Firma.«
Sie nickte. »Verstehe.« Und
nachdem sie von einem Grissino die Spitze abgeknabbert hatte, fragte sie: »Bei
dem Namen blick ich immer nicht durch - ist das nun ein Männer- oder ein
Frauenname?«
»Kann beides sein, glaube ich.
In dem Fall handelt es sich um eine Frau.«
»Willst du ihr nicht
antworten?«, fragte sie.
Sie nahm ihr Blackberry zur Hand und ich mein Handy.
»Dauert keine Minute«, versprach ich. »Kein Problem.«
Natürlich dauerte es länger
als eine Minute. Ich bin nicht der Schnellste beim Verfassen von
Textnachrichten, und ich wusste nicht, was ich schreiben sollte. Schließlich
entschied ich mich für:
Hab's noch nicht bis zur Fähre
geschafft. Noch in Kendal, mit liebem Töchterlein beim Italiener. Bitte um
Nachsicht für mein Schneckentempo - gebt mich nicht auf!
Bis das endlich unterwegs war, hatte Lucy vier
Nachrichten bekommen und verschickt. Wir legten beide unsere Telefone zur Seite
- etwas widerwillig - und lächelten uns an.
»Also«, sagte ich, »das muss
doch ein völlig anderes Gefühl -« Der Kellner brachte uns das Essen. Da unser
Tisch ziemlich klein war, dauerte es eine Weile, bis für alles ein Platz
gefunden war. Dann musste verhandelt werden, wie viel Pfeffer gemahlen, wie
viel Käse gestreut wurde, und daraus machte er einen regelrechten Auftritt. Als
er endlich fertig war, war eine neue Nachricht von Lindsay eingetroffen. Ich
las sie, bevor ich zu essen anfing:
Max, genießen Sie die Fahrt
und machen Sie sich keine Sorgen ums Vorankommen, vergessen Sie nicht, es ist
nur ein Spaß X
Ich lächelte in mich hinein,
als ich das Telefon auf den Tisch legte, und Lucy war das Lächeln nicht
entgangen, aber sie sagte nichts. Bevor ich einen ersten Bissen von meinem
Risotto probierte, ergriff ich die Gelegenheit, ihr eine Frage zu stellen.
»Du verschickst viele Textnachrichten, oder, Lucy?«,
sagte ich.
»Geht so«, erwiderte sie.
»Vielleicht zwanzig oder dreißig am Tag.«
»Na, das sind doch eine ganze
Menge. Was hat es zu bedeuten, wenn jemand ein >X<, einen Kuss also, an
das Ende einer Textnachricht setzt?«
Ihr Blick drückte jetzt mildes
Interesse aus.
»Ist die wieder von deiner
Arbeitskollegin gewesen?«, fragte sie.
»Ja.«
»Lass mal sehen.«
Ich gab ihr das Telefon, und
nachdem sie die Nachricht gelesen hatte, gab sie es mir zurück.
»Schwer zu sagen«, räumte sie
ein. »Kommt drauf an, was sie für ein Mensch ist.«
»Da gibt es keine ... festen
Regeln bei so etwas?«
Ich muss sagen, dass ich mit
der Frage zufrieden war. Ich war davon überzeugt, endlich ein Thema gefunden zu
haben, das uns zusammenbrachte. Wenn Lucy zwanzig oder dreißig Textnachrichten
am Tag verfasste, dann sollte sie auch stundenlang darüber reden können.
»Na ja, so richtige Regeln
eigentlich nicht«, antwortete sie. Mit Enttäuschung vernahm ich den Tonfall, in
dem sie das sagte, gelangweilt, fast ein bisschen verächtlich. »Weißt du,
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