Coe, Jonathan
Wange.
Ich hielt ihren Kuss so lange fest, wie sie es mir gestattete, atmete ihren
Duft ein, nahm die Konturen des Körpers, den ich einmal so gut gekannt hatte,
fest in die Arme.
»Oooh - ist das dein Wagen?«,
fragte sie, befreite sich und ging hinunter in den Vorgarten, um einen besseren
Blick darauf zu haben. »Sehr schön. Die kriegt man hier nicht oft zu sehen.«
»Eigentlich ein Firmenwagen«,
sagte ich.
Sie nickte anerkennend. »Nicht
schlecht. Du scheinst deinen Weg zu machen.«
Es hatte fast ganz aufgehört
zu regnen. Ich drehte mich um und betrachtete die Vorderseite des Hauses. Es
war klein, elegant, eine Doppelhaushälfte, gebaut aus einheimischen Steinen.
Auf einmal verspürte ich den sehnlichen Wunsch, hier die Nacht zu verbringen
und nicht im örtlichen Travelodge, wo ich bereits eingecheckt hatte. Aber mit
einer entsprechenden Einladung war nicht zu rechnen.
»Brr. Gehen wir raus aus der
Kälte«, sagte Caroline und betrat vor mir das Haus.
»Die Frisur steht dir«,
riskierte ich ein Kompliment, als ich ihr in die Küche folgte. Ihre Haare waren
jahrelang ein Katastrophengebiet gewesen. Sie hatte nie gewusst, was sie damit
machen sollte - sie hatte sie weder sehr lang noch sehr kurz getragen, weder
gelockt noch ganz glatt, weder ganz blond noch ganz braun (selbst die Farbe war
undefinierbar). Aber jetzt hatte sie jemand einer gründlichen Renovierung
unterzogen, und sie sah so modisch aus, wie ich sie noch nie gesehen hatte.
Braun mit blonden Strähnen - eigentlich eine logische Wahl, wenn ich drüber
nachdachte. Während ich ihrer Rückenansicht folgte, fiel mir auf, dass sie auch
ziemlich viele Kilos verloren hatte: vielleicht sieben, vielleicht auch zehn.
Sie trug einen engen Kaschmirpulli und hautenge Jeans, die Hüften und Hintern
betonten. Sie sah fantastisch aus. Ungefähr zehn Jahre jünger als noch vor sechs
Monaten. Sie ging ohne Weiteres für Mitte dreißig durch. Ich kam mir neben ihr
schwabbelig, alt und schlecht in Form vor.
»Ich setze mal Wasser auf«,
sagte sie.
»Schön.« Eigentlich hatte ich
auf ein Glas Wein oder so etwas gehofft, aber es sollte wohl Tee sein. »Wo ist
Lucy?«
»Oben. Richtet sich her. Sie
kommt gleich runter.«
»Schön.«
Im Auto auf der Fahrt hierher
hatte ich mir vor meinem geistigen Auge ausgemalt, wie Lucy die Treppe
heruntergestürmt kam, um sich ihrem Daddy in die Arme zu werfen. Wie es aussah,
war ich wohl auch da auf dem Holzweg. Den wärmsten Empfang bereitete mir noch
der kleine braune Dackelwelpe, der aus der anderen Ecke der Küche herbeigerannt
kam, mich ankläffte und versuchte, mir bis zu den Knien zu springen. Ich fing
ihn mitten im Sprung auf und drückte ihn mir an die Brust.
»Du bist also Rochester, ja?«,
fragte ich ihn, streichelte ihm den Kopf, während er mich eifrig abschnüffelte.
»Was für ein hübscher kleiner Kerl du bist.«
»Woher weißt du, dass wir ihn
Rochester genannt haben? Wir haben ihn doch erst seit ein paar Wochen.«
Was für eine Rieseneselei von
mir: Den Erwerb des neuen Haustiers hatte Caroline nicht mir, sondern Liz
Hammond mitgeteilt. Jetzt half mir nur eine Lüge weiter. »Ich weiß es von
Lucy. Sie hat es mir in einer E-Mail geschrieben.«
»Tatsächlich? Ich wusste gar
nicht, dass Lucy sich mit dir E-Mails schreibt.«
»Na ja, du weißt eben nicht
alles, oder?«
»Nein, das ist wahr.« Sie
wischte die zwei benutzten Teebeutel von einer Untertasse in den Komposteimer.
»Ich weiß ja nicht einmal, was du hier oben tust. Hattest du nicht gesagt, du
bist unterwegs nach Schottland?«
»Richtig. Zu den Shetlands,
genau gesagt.«
»Zahnbürsten verkaufen?«
»So ähnlich.«
»Dann hast du dich ja bewegt.
Ich dachte, du würdest dich nie von diesem Job verabschieden.«
»Na ja, vielleicht braucht man
ab und zu einen Tritt in den Hintern. Und den hab ich ja von dir bekommen. Als
ihr gegangen seid, Lucy und du, da ... Na ja, sagen wir mal, es hat ein paar
Sachen ins rechte Licht gerückt.«
Caroline schaute hinunter in
ihre Teetasse. »Ich weiß, dass ich dir wehgetan habe.«
Ich schaute hinunter in meine.
»Es war dein gutes Recht.«
Mehr wurde zu dem Thema nicht
gesagt. »Wohin willst du heute Abend mit ihr gehen?«, fragte sie etwas
aufgeräumter.
»Ich hab bei dem Chinesen im
Zentrum einen Tisch reserviert«, antwortete ich. (Lucy hatte chinesisches
Essen immer gern gemocht.)
»Der soll nicht schlecht sein.
Wir sind noch nicht dagewesen.«
»Ich sag dir, wie es war.«
In dem Augenblick
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