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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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es
ist ein kleiner Kuss am Ende einer SMS. Wahrscheinlich bedeutet das gar
nichts. Überhaupt, wieso rede ich eigentlich mit meinem Dad über solche Sachen?
Das ist ... bemitleidenswert. Das ist lahm, Dad. Es ist ein Küsschen, mehr
nicht. Mach draus, was du willst.«
    Sie schwieg und stocherte in
ihrer Lasagne.
    »Okay, tut mir leid, Schatz«,
sagte ich nach einer kurzen, unglücklichen Pause. »Ich hab einfach nach einem
Gesprächsthema gesucht, mehr nicht.«
    »Schon gut, mir tut's auch
leid. Es war nicht so gemeint.« Sie schlürfte ihr Diät-Cola. »Warum ist Mom
eigentlich nicht mitgekommen? Redet ihr jetzt gar nicht mehr miteinander?«
    »Natürlich reden wir
miteinander. Keine Ahnung, warum sie nicht mitkommen wollte. Ich glaub, sie hat
was vor.«
    »Ach ja, heut ist Dienstag.
Das ist der Autorenabend.«
    »Autorenabend?«
    »Ja, sie geht doch in diesen
Literaturkreis. Die schreiben da alle Geschichten und so was und lesen sich das
Zeug gegenseitig vor.«
    Na großartig! In ebendiesem
Moment brachte Caroline also ein entzücktes Publikum mit der saukomischen
Geschichte von Max, Lucy und der Brennnesselgrube zum Lachen. Wahrscheinlich
war sie gerade bei der Stelle, wo ich keinen Schimmer habe, warum das Gras grün
ist. Ich meinte, ihr genüsslich-blasiertes Schmunzeln vor mir zu sehen, so
deutlich, als säßen sie hier im Restaurant am Nebentisch.
    »Sie scheint es mit ihrer
Schreiberei tatsächlich ernst zu meinen, oder?«, fragte ich.
    »Ich glaube, ja. Allerdings..
.«Jetzt lächelte sie mich beinahe verschwörerisch an. »Allerdings gibt's da
diesen Typen, der auch in die Literaturgruppe geht, und ich habe langsam das
Gefühl, dass sie -«
    Das Gefühl, dass sie - ja, was
wohl? Ich konnte es mir denken, würde es aber nie erfahren, denn in diesem
Moment klimperte ihr Blackberry wieder los.
    »Moment«, sagte sie, »das muss
ich mir ansehen.«
    Die Nachricht, wie auch immer
sie aussah, entlockte ihr ein lautes Lachen.
    »Die ist von Ariana«, sagte
sie, als wäre damit alles erklärt. »Sie hat das Bild in Photoshop bearbeitet -
guck mal.«
    Sie zeigte mir das Display,
auf dem ein völlig normales Mädchen zu sehen war.
    »Sehr schön«, sagte ich und
gab es ihr zurück. Was hätte ich auch sonst sagen sollen?
    »Nein, aber sie hat Monicas
Kopf auf Jess' Körper gesetzt.«
    »Ah, okay. Das ist clever.«
    Lucy formulierte schon an
einer Antwort, während ich mein Telefon zur Hand nahm und anfing, eine Antwort
an Lindsay zu tippen. Wahrscheinlich war es gut, dass ich nicht dazu kam, sie
ihr zu schicken. Was mich davon abhielt? Der Ausdruck auf dem Gesicht einer
Frau, die am Nebentisch saß. Ich weiß gar nicht, wie ich diesen Ausdruck
beschreiben sollte. Ich weiß nur, dass sie die Szenerie, die sich ihr an
unserem Tisch bot, genau verstanden hatte - ein müder, achtundvierzig Jahre
alter Vater führt seine Tochter zum Abendessen aus, die beiden sitzen sich
gegenüber, haben sich nichts zu sagen, der eine schickt eine SMS, die andere
spielt mit ihrem Blackberry - und sie selber reagiert mit einem beschämenden
Zwischending aus Amüsement und Anteilnahme, beides in einem einzigen Blick
enthalten. Und in diesem Augenblick kam mir ein Bild in den Sinn: die Chinesin
und ihre Tochter, die in dem Restaurant am Hafen von Sydney am Tisch sitzen und
zusammen lachen und Karten spielen. Der Draht zwischen ihnen. Die Freude
darüber, zusammen zu sein. Die Liebe und die Nähe. Alles Dinge, die dieser
armselige Versager von einem Vater mir nicht hatte beibringen können.
     
    Eine SMS verschickte ich noch an diesem Abend. Aber
nicht an Lindsay. Ihr kommt sowieso nicht drauf, an wen, deswegen verrate ich
es - ich schickte eine SMS an Poppys Onkel. Clive.
    Gegen halb zehn brachte ich
Lucy zurück nach Hause. Caroline war noch nicht wieder da. Lucy nahm mich mit
hinein, kochte mir eine Tasse Kaffee und setzte sich noch eine halbe Stunde mit
mir in die Küche, um sich (mehr schlecht als recht) mit mir zu unterhalten. Als
immer klarer wurde, dass Caroline sich nicht gerade ein Bein ausriss, mich noch
zu sehen, beschloss ich, Feierabend zu machen, stieg in mein Auto und fuhr zu
meinem Travelodge, das etwa zehn Minuten außerhalb der Stadt lag.
    So viel zu unserem
Familientreffen.
    Zurück im Hotelzimmer, wusste
ich, dass ich - bei aller Müdigkeit - noch zu aufgedreht war, um gleich
schlafen zu können. Im Fernsehen fand ich nichts Verlockendes, also nahm ich
Clives DVD Deep
Water aus
dem Koffer und steckte sie in meinen Laptop.

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