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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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ich meinen Teil
sagte.
    »Darauf hätte ich viele
Antworten, Mr. Thabane«, sagte ich. »Aber dann müssen sie auch wirklich von mir
kommen. Wenn man unter Zwang spricht – Sie sollten das wissen –, spricht man
selten die Wahrheit.«
    Er wollte
etwas erwidern, aber ich ließ ihn nicht.
    »Warten
Sie. Geben Sie mir einen Augenblick Zeit. Ich weiche Ihrer Frage nicht aus.
Schreckliche Dinge gehn hier vor. Aber wie ich darüber denke, muß ich auf meine
eigene Weise sagen.«
    »Dann lassen Sie uns hören,
was Sie zu sagen haben! Wir sind ganz Ohr! Wir warten!« Ruhe heischend, hob er
die Hände. Die Umstehenden murmelten zustimmend.
    »Dies sind schreckliche
Sehenswürdigkeiten«, wiederholte ich zögernd. »Sie sind zu verurteilen. Aber
ich kann sie nicht mit den Worten anderer anprangern. Ich muß meine eigenen
Worte finden, aus mir selber. Sonst ist es nicht die Wahrheit. Das ist alles,
was ich jetzt sagen kann.«
    »Diese Frau redet Scheiße«,
sagte ein Mann in der Menge. Er sah sich um. »Scheiße«, sagte er. Niemand
widersprach ihm. Schon gingen die ersten weg.
    »Ja«, sagte ich, direkt zu
ihm sprechend – »Sie haben recht, was Sie sagen, ist wahr.«
    Er blickte mich an, als
wäre ich wahnsinnig.
    »Aber was
erwarten Sie?« fuhr ich fort. »Um von dem da zu sprechen« – ich machte eine
Handbewegung über den Busch, den Rauch, den Unrat am Wegesrand – »brauchte man
die Zunge eines Gottes.«
    »Scheiße«,
sagte er wieder, mich herausfordernd.
    Mr. Thabane
drehte sich um und ging weg. Ich schleppte mich hinter ihm her. Die Menge löste
sich auf. Kurz danach lief der Junge an mir vorbei. Dann kam der Wagen in
Sicht.
    »Das ist ein Hillman, Ihr Wagen,
nicht?« sagte Mr. Thabane. »Viele davon kann’s nicht mehr geben auf den
Straßen.«
    Ich war überrascht. Nach
dem, was geschehen war, dachte ich, es sei eine Linie gezogen zwischen uns. Er
schien aber keinen Groll zu hegen.
    »Aus der Zeit, als British
was Best«, erwiderte ich. »Tut mir leid, wenn ich Unsinn rede.«
    Er ignorierte die
Entschuldigung, falls es eine war. »War britisch je am besten?« fragte er.
    »Nein, natürlich nicht. Das
war nur so ein Schlagwort, eine Zeitlang nach dem Krieg. Sie werden sich nicht
erinnern, Sie waren zu jung.«
    »Ich bin 1943 geboren«,
sagte er. »Ich bin jetzt dreiundvierzig. Glauben Sie mir nicht?« Er wandte sich
mir zu, sein gepflegtes, angenehmes Äußeres zeigend. Eitel; aber eine reizvolle
Eitelkeit.
    Ich zog den
Anlasser. Die Batterie war tot. Mr. Thabane und der Junge stiegen aus und
schoben, mit den Füßen Halt suchend im Sand. Endlich sprang der Motor an.
»Gradeaus«, sagte der Junge. Ich gehorchte.
    »Sind Sie Lehrer?« fragte
ich Mr. Thabane.
    »Ich war
Lehrer. Aber ich hab den Beruf vorübergehend aufgegeben. Bis bessere Zeiten
kommen. Zur Zeit verkaufe ich Schuhe.«
    »Und du?«
fragte ich den Jungen.
    Er murmelte etwas, was ich
nicht verstand.
    »Er ist ein
arbeitsloser Jugendlicher«, sagte Mr. Thabane. »Stimmt’s?«
    Der Junge
lächelte befangen. »Biegen Sie hier ab, gleich nach den Geschäften«, sagte er.
    Allein in
der Wildnis standen nebeneinander drei kleine Geschäfte, ausgeplündert,
verkohlt, bhawoodien cash store stand
noch lesbar auf einem Schild.
    »Lang ist’s her«, sagte Mr.
Thabane. »Voriges Jahr ist das passiert.«
    Wir waren
auf eine breite, unbefestigte Straße hinausgekommen. Zu unserer Linken stand
eine Gruppe von Häusern, richtigen Häusern mit Backsteinwänden, Asbestdächern
und Schornsteinen. Dazwischen, um sie herum, in die Ferne über die Ebene sich
erstreckend, standen Squatterbaracken.
    »Das Gebäude da«, sagte der
Junge und zeigte nach vorn.
    Es war ein
langer, flacher Bau, eine Halle oder Schule vielleicht, umgeben von einem
Maschenzaun. Aber an vielen Stellen war der Zaun niedergetrampelt worden, und
von dem Bau selber standen nur noch die rauchgeschwärzten Mauern. Auf der
Vorderseite hatten sich Hunderte von Menschen versammelt. Köpfe wandten sich,
um den Hillman herankommen zu sehen.
    »Soll ich
ausschalten?« sagte ich.
    »Sie können
ruhig ausschalten, Sie brauchen keine Angst zu haben«, sagte Mr. Thabane.
    »Ich habe keine Angst«,
sagte ich. War das wahr? Irgendwie schon; jedenfalls kümmerte es mich nach der
Episode im Busch weniger, was mit mir geschah.
    »Jetzt
besteht ohnehin kein Grund mehr, Angst zu haben«, fuhr er glatt fort: »Ihre
Jungs sind da, um Sie zu beschützen.« Und er zeigte mit dem Finger.
    Da sah ich
sie, weiter unten auf

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