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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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Abwechslung mal.«
    »Nein!«
rief ich aus. Ein nicht mehr ganz nüchterner Zorn gegen seine Roheit, seine
Gleichgültigkeit flammte in mir auf. Was mache ich hier? In dem erschöpften
Wagen müssen wir zwei ungefähr ausgesehen haben wie verspätete Flüchtlinge aus
dem platteland der Weltwirtschaftskrise. Alles, was uns noch fehlte, war
eine Kokosfasermatratze und ein Hühnerverschlag, auf dem Dach festgezurrt. Ich
riß ihm die Flasche aus der Hand, doch während ich noch das Fenster
herunterdrehte, um sie hinauszuwerfen, rang er sie mir wieder ab.
    »Steigen
Sie aus meinem Wagen!« fuhr ich ihn an.
    Er zog den Schlüssel aus
dem Zündschloß und stieg aus. Vor meinen Augen warf er den Schlüssel in die
Büsche, drehte sich um und stolzierte, die Flasche in der Hand, nach Hout Bay
hinunter.
    Wutentbrannt
wartete ich, aber er drehte sich nicht um.
    Minuten
vergingen. Ein Wagen kam von der Straße herunter und hielt neben mir. Musik dröhnte
von ihm her, laut und metallisch. In diesem Getöse saß ein Paar und blickte
hinaus auf die See. Südafrika, wie es sich erholt. Ich stieg aus und klopfte an
ihr Fenster. Der Mann wendete mir gelangweilt seinen Blick zu, kauend. »Können
Sie die Musik leiser machen?« sagte ich. Er fummelte an etwas herum oder tat
nur so, aber die Lautstärke änderte sich nicht. Ich klopfte noch einmal. Durch
das Glas machte sein Mund Sprechbewegungen, dann wendete er den Wagen in einer
Staubwolke und parkte auf der anderen Seite des Rastplatzes.
    Ich suchte
in den Büschen, wo Vercueil den Schlüssel hingeworfen hatte, erfolglos.
    Als der
andere Wagen endlich wegfuhr, wandte die Frau den Kopf und warf mir einen
finsteren Blick zu. Ihr Gesicht nicht unattraktiv, doch häßlich: verschlossen,
verkniffen, so als fürchtete sie, Licht, Luft, das Leben selbst würden sich
zusammentun und sie schlagen. Nicht ein Gesicht, sondern ein Ausdruck, doch ein
schon so lange beibehaltener Ausdruck, daß er der ihre geworden war, sie selbst
geworden war. Eine Verdickung der Membrane zwischen der Welt und dem inneren
Selbst, eine Verdickung, die Dicke geworden war. Evolution, aber Evolution
rückwärts. Fische aus den urzeitlichen Tiefen (ich bin sicher, Du weißt das)
entwickelten Hautstellen, die empfindlich waren für die Befingerungen des
Lichtes. Mit der Zeit wurden aus diesen Stellen Augen. Heute, in Südafrika,
sehe ich Augen sich wieder verdüstern, Schuppen verdicken sich auf ihnen, da
die Landerforscher, die Siedler sich bereitmachen, in den Abgrund
zurückzukehren.
    Hätte ich
kommen sollen, als Du mich einludest? In meinen schwächeren Momenten hat mich
oft danach verlangt, mich Deiner Güte hinzuwerfen. Wie froh ich bin, daß ich,
uns beiden zuliebe, ausgehalten habe! Du brauchst keinen Albatros aus der alten
Welt um Deinen Hals; und was mich betrifft, würde ich Südafrika, indem ich zu
Dir renne, wirklich entkommen? Wie kann ich wissen, ob die Schuppen sich nicht
bereits über meinen Augen verdicken? Diese Frau in dem Wagen: vielleicht hat
sie, als sie wegfuhren, zu ihrem Gefährten gesagt: »Was für eine saure Alte!
Was für ein verschlossenes Gesicht!«
    Und dann,
welche Ehre liegt darin, sich in diesen Zeiten davonzuschleichen, wo das
wurmstichige Schiff doch eindeutig am Sinken ist, in Gesellschaft von Tennisspielern
und schlitzohrigen Maklern und Generälen mit Diamanten in den Hosentaschen, die
abreisen, um sich in den ruhigeren Provinzen der Welt ihre Schlupfwinkel
einzurichten? General G. Minister M. auf ihren Pachtgütern, unter südlichem
Himmel Beefsteaks über Holzkohle grillend, Bier mit ihren Kumpanen trinkend,
Lieder aus der alten Heimat singend, ihrem Verscheiden im Schlaf in einem
grandios hohen Alter entgegensehend, mit Enkeln am Fußende des Bettes und
Tagelöhnern mit dem Hut in der Hand: Die Afrikaners von Paraguay und die
Afrikaners von Patagonien in unheimlicher Diaspora zusammenfindend:
rotgesichtige Männer mit dicken Bäuchen und fetten Weibern und Gewehrsammlungen
an den Wohnzimmerwänden und Sicherheitsschließfächern in Rosario, wechselseitig
Sonntagnachmittagsbesuche einander abstattend mit den Söhnen und Töchtern von
Barbie, Eichmann: Schlägertypen, Gangster, Folterer, Killer – was für eine
Gesellschaft!
    Außerdem
bin ich zu müde. Über die Maßen müde, müde wie eine Panzerung gegen die Zeiten,
ich möchte die Augen schließen und schlafen. Was ist der Tod schließlich
anderes als ein Aufstieg in die äußersten Bereiche der Müdigkeit?
    Ich
erinnere

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