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Coetzee, J. M.

Coetzee, J. M.

Titel: Coetzee, J. M. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eiserne Zeit
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meinem Bett zurück. Sie wickelte
sie um mich herum, drückte mich kurz, half mir dann in meine Hausschuhe. Kein
Anzeichen von Abscheu vor meinen Beinen, meinen Füßen. Ein gutes Mädchen,
aufgezogen, um jemandem eine gute Ehefrau zu sein.
    »Gibt es
irgendwelche Pillen oder Medikamente oder etwas anderes, was Sie mitnehmen
möchten?« fragte sie.
    »Ich geh hier nicht weg«,
wiederholte ich und faßte meinen Stuhl.
    Gemurmelte Worte gingen
zwischen ihr und den Männern hin und her. Ohne Warnung wurde ich von hinten
hochgehoben, unter den Armen. Die Frau nahm meine Beine. Wie ein Paket trugen
sie mich zur Vordertür. Schmerz schoß mir in den Rücken. »Setzen Sie mich ab!«
schrie ich.
    »Gleich«, sagte die Frau
beruhigend.
    »Ich habe Krebs!« kreischte
ich – »Setzen Sie mich ab!«
    Krebs! Was für eine Lust, ihnen das Wort hinzuschleudern! Es
stoppte sie auf der Stelle, wie ein Messer. »Sit haar neer, dalk kom haar
iets oon«, sagte der Mann, der mich hielt – »Ek het mosgesejy moet die
ambulans bel. « Behutsam legten sie mich aufs Sofa.
    »Wo ist der Schmerz?«
fragte die Frau, die Brauen runzelnd.
    »In meinem Herzen«, sagte
ich. Sie schaute verdutzt. »Ich habe Herzkrebs.« Da verstand sie; sie
schüttelte den Kopf, als würde sie Fliegen abschütteln.
    »Tut es weh, getragen zu
werden?«
    »Es tut die
ganze Zeit weh«, sagte ich.
    Sie fing den Blick des
Mannes hinter mir auf; zwischen ihnen ging etwas hin und her, etwas, das so komisch
war, daß sie ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.
    »Ich hab
ihn mir geholt, als ich aus dem Becher der Bitterkeit trank«, fabulierte ich
weiter. Was machte es schon, wenn sie mich für eine Spinnerin hielten? »Sie
werden sich ihn eines Tages wahrscheinlich auch holen. Es ist schwer, dem zu
entgehen.«
    Das Klirren zersplitternden
Glases. Beide eilten sie aus dem Zimmer; ich stand auf und humpelte hinterher.
    Nichts hatte sich
verändert, außer, daß eine zweite Fensterscheibe hin war. Der Hof selber war leer;
die Polizisten, ein halbes Dutzend jetzt, kauerten auf der Veranda, die
Pistolen gezückt.
    »Weg«, schrie wütend einer von ihnen. »Kry haar weg!«
    Die Frau
beförderte mich nach drinnen. Als sie die Tür schloß, gab es eine kurze
Explosion, eine Salve von Schüssen, dann eine lange, betäubte Stille, dann
leises Sprechen und, von irgendwoher, das Kläffen von Vercueils Hund.
    Ich
versuchte, die Tür aufzuziehen, aber die Frau hielt mich fest.
    »Wenn ihr
ihn verletzt habt, werd ich euch das nie vergeben«, sagte ich.
    »Ist ja
gut, wir werden nochmal den Krankenwagen rufen«, sagte sie in dem Versuch, mich
zu beruhigen.
    Der Krankenwagen war schon
da, stand auf dem Gehsteig. Scharenweise kamen aus allen Richtungen aufgeregte
Menschen angerannt, Nachbarn, Passanten, Jung und Alt, Schwarz und Weiß. Von
den Baikonen der Wohnungen starrten die Leute herab. Als die Polizistin und ich
aus der Vordertür auftauchten, schoben sie die Leiche, unter einer Decke
liegend, bereits die Zufahrt hinab und hievten sie in den Krankenwagen.
    Ich
schickte mich an, hinter ihr her in den Krankenwagen zu klettern; einer von den
Rettungssanitätern nahm sogar meinen Arm, um mir hineinzuhelfen; aber ein
Polizist mischte sich ein. »Warten Sie, wir haben einen andern Krankenwagen für
Sie«, sagte er.
    »Ich will
keinen andern Krankenwagen«, sagte ich. Er machte ein freundliches, verblüfftes
Gesicht. »Ich will mit ihm fahren«, sagte ich und machte einen weiteren Versuch
hineinzuklettern. Die Steppdecke rutschte mir an die Füße.
    Er
schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. Er gab ein Zeichen, und der Sanitäter
schloß die Türen.
    »Gott vergib uns!« hauchte
ich. Die Steppdecke um mich haltend, begann ich die Schoonder Street entlangzugehen,
weg von der Menschenmenge. Ich hatte fast die Ecke erreicht, als die Polizistin
hinter mir hergelaufen kam. »Sie müssen jetzt nach Hause kommen!« befahl sie.
»Es ist nicht mehr mein Zuhause«, erwiderte ich wütend, ohne im Schritt
innezuhalten. Sie nahm meinen Arm; ich riß mich los. »Sy’s van haar kop af«, bemerkte sie zu niemand besonderem und gab auf.
    In der
Buitenkant Street, unter der Überführung, setzte ich mich hin, um auszuruhen.
Ein steter Strom von Autos floß in Richtung Stadt vorbei. Niemand hatte einen
Blick für mich übrig. Mit meinem wüsten Haar und der blaßroten Steppdecke hätte
ich auf der Schoonder Street vielleicht Aufsehen erregt; hier, mitten im Schutt
und Dreck, war ich bloß ein Teil des

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