Coins - Die Spur des Zorns
Armzügen das an dieser Stelle seichte Wasser teilten, dann waren sie in der Nacht verschwunden. Steiner legte die Hand auf Hellenkämpers Schulter. „Keine Sorge, Peter! Die machen das. In zwanzig Minuten wissen wir Bescheid, was da an Bord vor sich geht.“
Samir Charif saß apathisch in seinem Ohrensessel, starrte geistesabwesend hinüber zur Fensterfront. Die daran abperlenden Regentropfen zogen wirre Bahnen, verwischten die Konturen des kunstvoll ausgeleuchteten Parks. Dessen Anlage kostete seinerzeit ein Vermögen, doch er hatte keinerlei Blick für die selbst in dieser Jahreszeit das Auge schmeichelnde Gartenarchitektur. Hinter seiner Stirn tobte schieres Chaos: Gedankenfragmente überschlugen sich, kamen seit Stunden schon zu keinem brauchbaren Ergebnis. Das Trauma des Überfalls lastete bleiern auf seinem Denkvermögen, gestattete nur eine einzige Erkenntnis: Die Sicherheit, in der er sich gestern noch wähnte, sie gab es nicht mehr. Sein Schicksal lag nun in fremden Händen, jeglicher Kontrolle entzogen. Schlimmer noch: Der Fremde hatte ihn seiner Würde beraubt, gar gedroht, ihn der Verachtung seiner Söhne auszusetzen. Was für ein Scheißtag! Ließe es sich bewerkstelligen, er würde ihn aus seinem Leben streichen, freiwillig gegen ein, zwei Lebensjahre eintauschen.
Seine Hand zitterte, als er das Cognacglas zum Mund führte. Wann hatte er das letzte Mal so viel getrunken? Seit seiner Studentenzeit nicht mehr! An der American University of Beirut nahm man das damals mit der Abstinenz nicht so genau. Dort war er beinahe alltäglich im ‚geselligen Training‘, ein im wahrsten Sinne des Wortes standfester Schluckspecht. Nun zeigte der Alkoholgenuss erste Wirkung, doch noch immer beherrschten die Geschehnisse dieses Tages sein Denken. Wie konnte er sich seinen Söhnen erklären, sollte der Fremde seine Drohung wahrmachen? Wie würde Helena, seine ihm bisher stets ergebene Frau und Geliebte, reagieren, stünde seine Verstrickung in dieses Verbrechen im Fokus der Berichterstattung sich empörender Medien? Pädophilie war das Stichwort, das gesellschaftliche Reputation in Sekundenschnelle atomisierte! Der Absturz ins Bodenlose wäre unvermeidlich, jahrelange Haft, alltäglich wiederkehrende Entwürdigung das unerträgliche Schicksal. Am meisten träfe ihn jedoch die Verachtung seiner Söhne.
Noch ein Schluck. Er stöhnte entnervt, als er sich zum Tisch vorbeugte, darauf das geleerte Glas absetzte. Wer, zum Teufel, war dieser Fremde? Woher hatte er diese Kenntnisse? War ausschließlich Rache sein Motiv? Rache aus welchem Grund? War er Betroffener? In welcher Hinsicht? Fragen über Fragen! Vor allem aber: Würde der Fremde wirklich schweigen, ihn nicht doch der Staatsanwaltschaft ausliefern? Er verwarf den Gedanken sogleich. Der Fremde war nicht das Risiko. Er hatte sich als Münzenmörder geoutet, würde selbst jahrelange Haft riskieren. Was aber geschähe, sollte dieser Hurensohn zu Schaden kommen? Der forderte das doch geradezu heraus! ‚Ich werde den Auftraggebern noch heute Feuer unterm Arsch machen.‘ Der wusste doch gar nicht, wovon er sprach! Die würden nicht eine Sekunde zögern, ihn zu töten. Wie sollte er Berufskiller davon abhalten können, den Fremden auf Anweisung der Auftraggeber zu massakrieren? Er wäre doch selbst deren nächstes Opfer, würde er über die Begegnung mit dem Fremden auch nur ein Sterbenswörtchen verlieren! Er selbst wäre in deren Augen ein Sicherheitsrisiko! Wo war der verdammte Ausweg? Es musste einen geben! Warum fand er ihn nicht? Resigniert schüttelte er den Kopf.
Rhythmisches Summen holte Charif in die Wirklichkeit zurück. Der Vibrationsalarm des Handys! Das Gerät begann, sich auf der polierten Tischplatte im Kreise zu drehen. Er stand auf, ergriff es, starrte auf das Display. Metins Nummer. Einen Moment schien er unschlüssig, ob er das Gespräch entgegen nehmen sollte. Ihm war nicht nach seichtem Palaver. Er brauchte Botschaften, die Hoffnung weckten! „Was gibt’s, Metin?“
„Salem aleikum! Haben Sie schon die Nachrichten gesehen?“
„Nein. Warum?“
„Der Mann der Rebecca Pohl wurde gefunden. Tot. Genickbruch. Ein Schnüffler weniger.“
Charif hielt den Atem an. Auch das noch! War nicht die Ermordung der Frau schon Katastrophe genug? Jetzt würde der Fahndungsdruck noch größer! Scheiß-Tag!
„Hallo! Sind Sie noch dran, Samir?“
„Wo hat man ihn gefunden?“
„Das ist der Hammer: keine 500 Meter vom Babylon entfernt! Sie haben ihn
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