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Coins - Die Spur des Zorns

Coins - Die Spur des Zorns

Titel: Coins - Die Spur des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Justus
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doch sie hörten ihn nicht. Er war im wahrsten Sinne des Wortes Luft für sie, ein Aussätziger, würdelos, schäbig, von der eigenen Familie gemieden. Bisher unangefochtener, von seinem Umfeld gefürchteter ‚Patron‘, fühlte er sich hilflos, wie er sich noch nie in seinem Leben hilflos gefühlt hatte. Er war ein Schwächling, erst jetzt war ihm dies bewusst geworden. Samir Charif ein Schwächling! Er begann, sich zu hassen.
    Er zog die Pistole hervor, spannte sie. Er schloss die Augen, führte die Makarov zum Mund, schmeckte das Metall. Eine Erinnerung drängte sich in den Vordergrund: Genau so schmeckte der Bleistiftspitzer, an dem er als Erstklässler so gerne geschleckt hatte. Dann war da wieder Helenas Gesicht. Und nun auch die Gesichter seiner Söhne, stumm, die Blicke ausdruckslos. Man hatte sich nichts mehr zu sagen.
    Er spannte den Abzugshebel bis zum Druckpunkt, schloss in banger Erwartung die Augen. Er wusste, ein, zwei Millimeter noch, dann wäre es vorbei. Ein letztes Zögern. Da – nochmals das Gesicht seines jüngsten Sohnes! Dieser vorwurfsvolle Blick, diese Ratlosigkeit! Wenigstens eine Regung, keine gänzliche Missachtung! Gab es wirklich keinen Ausweg? Es gab keinen! Er musste es tun! Eine letzte Willensanstrengung, verzweifelte Entschlossenheit. Er krümmte er den Finger. Den Explosionsknall hörte er schon nicht mehr.
     
    Pohl fröstelte, zog den Kragen hoch. Trotz des scheußlichen Wetters stand er auf der Terrasse, trotzte den Böen des aufkommenden Sturms. Warum, zum Teufel, tat er sich das an? Nur, um die Zeit totzuschlagen? Er wartete voller Ungeduld auf Schöllers Anruf, hoffte inständig darauf, dass die Aktion im Sassnitzer Hafen einen handfesten Hinweis auf Versteck und Befinden seiner Töchter ergäbe. Hoffentlich war es Schöller gelungen, die Minentaucher für diese Aktion zu gewinnen! Hoffentlich? Da waren sie wieder, die Zweifel! Bliebe die Taucheraktion unentdeckt? Gefährdete sie möglicherweise Alenas und Alexas Gesundheit, schlimmer noch, deren Leben? Was brächte die polizeiliche Observierung in diesem Falle? Nichts! Warum rief Schöller nicht an? Es war bald Mitternacht!
    Er starrte die neue Terrassentür an, ohne sich zunächst dabei etwas zu denken. Doch plötzlich sah er wieder diesen schwarzbärtigen Hünen vor sich. Welche Rolle spielte der Kerl in diesem Verbrechen? Warum wollte er in sein Haus eindringen? Und warum verfolgte der Typ ihn mit an Impertinenz grenzender Ausdauer? Bis vor sein Haus, in Duisburg, selbst auf dem Friedhof war er vor ihm nicht sicher. Rätsel über Rätsel. Selbst Schöller hatte keine Erklärung!
    Wieder rüttelte eine Bö am Gestänge der Markise, verdeutlichte angesichts der geringen Angriffsfläche lärmend ihre Wucht. Scheißwetter! Pohl zog es vor, das Innere des Hauses aufzusuchen, zumal er unter den schauerlichen Witterungsbedingungen das Läuten des Telefons vermutlich überhört hätte. Er durfte Schöllers Anruf keinesfalls verpassen.
    Er schloss die Terrassentür, ließ einen Moment die Stille des Hauses auf sich einwirken. Wenn auch verdammt schwer, so hatte er sich doch notgedrungen mit der Friedhofsruhe innerhalb seiner vier Wände einigermaßen abgefunden. Kein Lärmen, kein Lachen der Kinder mehr, kein Rufen, kein Dauertelefonat, Rebeccas Spezialität. Die Stereoanlage mied er seit dem
    Verbrechen, die CDs hätten ihn zu sehr an die Abende im Familienkreis erinnert. Blieben als einzige Geräuschquellen morgens das Radio, abends der Fernseher, dann noch das Telefon und zuweilen die Türklingel. Er fürchtete die drohende Eintönigkeit, sollte die Suche nach Alena und Alexa nicht bald erfolgreich sein. Bisher hatte ihn die Bestrafungsaktion mental, auch zeitlich bis an die Grenzen der Belastbarkeit in Anspruch genommen, doch nun gab es keine Gegner mehr, die er auf der Basis des verfügbaren Wissens hätte zur Verantwortung ziehen können. Sollte Schöller diesbezüglich Fortschritte gemacht haben, so unterrichtete dieser ihn nicht mehr. Er fürchtete wohl die Unberechenbarkeit des auf Rache sinnenden Opfers. Guter Herr Schöller: Was sollte, bitteschön, denn besagtes Opfer tun, wenn nicht bald dessen Kinder nach Hause zurückkehrten? Pohl schüttelte unwirsch den Kopf. Er war nicht der Typ, der abwartend die Hände in den Schoß legte, der untätig auf Gerechtigkeit hoffte! Das musste Schöller doch begreifen!
    ‚Gerechtigkeit‘! Er hatte Schöllers Worte noch in lebhafter Erinnerung, als dieser ihm vom ergebnislosen

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