Coins - Die Spur des Zorns
an Bord für Sie und die Kinder lebensbedrohlich entwickeln. In der Dunkelheit ist vom Schiff aus nicht erkennbar, wer dort Wache steht. Vergangene Nacht gab es keinerlei Funkverkehr zwischen der Henrietta und den Außenposten. Vermutlich ist das dem Fall unmittelbarer Gefahr vorbehalten. Fragen hierzu?“
Heintges hob die Hand. „Vermutlich muss ich es nicht erwähnen. Nur der guten Ordnung halber: Natürlich greifen wir ein, sollte es an Bord zu einer Schießerei kommen. Wie gesagt, meine Leute benötigen zwei Minuten, an Bord zu gelangen. Ich bitte die Herren, das zu berücksichtigen. Nicht jeder an Bord ist dann Ihr Feind! Am besten enthalten Sie sich von dem Moment an jeglicher Kampfhandlung. Begeben Sie sich in Deckung und geben Sie sich aus der Deckung heraus zu erkennen, sobald Bundespolizisten in Ihrem Blickfeld auftauchen.“
Steiner blickte in die Runde. „Das dürfte jeder verinnerlicht haben. Sollte die Sache aus dem Ruder laufen, wären Sie also maximal zwei Minuten auf sich allein gestellt. Aber sie darf nicht aus dem Ruder laufen! Schauen wir noch mal auf die Zeichnungen! Erste Aufgabe: Verhinderung des Auslaufens. Das heißt: Sicherstellen, dass sich niemand auf dem Oberdeck befindet, anschließende Blockade des Aufstiegs zum Oberdeck und zum Wheelhouse . Wer macht das?“
„Pohl!“ Schöller legte seine Linke auf Pohls Schulter. „Sorry, Professor! Aber ich glaub‘, das sollten Sie machen und die Aktion im Unterdeck Herrn Hellenkämper und mir überlassen. Ihr Wissen um Ihre Töchter könnte Sie möglicherweise daran hindern, dort unten das Richtige zu tun. Im schlimmsten Fall könnte eine emotionale Reaktion den Erfolg der Aktion insgesamt in Frage stellen. Ich bitte, das zu verstehen, nicht zuletzt auch im Interesse Ihrer Kinder.“
Alle Augen ruhten auf Pohl. Wie wird er reagieren? Für jedermann erkennbar rang er mit sich. Sie waren erleichtert, als er schließlich zu nicken begann. „Das geht schon in Ordnung, Herr Schöller. Ich bezieh‘ den Posten am Treppenaufgang zum Oberdeck. Was mach‘ ich, wenn dort oben schon einer von diesen Verbrechern ist?“
„Ich steig‘ hoch, Sie sichern unten meinen Check des Oberdecks. Verläuft der negativ, übernehmen Sie das Oberdeck und sichern je nach Lage oben oder unten dessen Aufgang. Anschließend knüpfen sich Herr Schöller und ich das Zwischendeck, danach das Unterdeck vor.“ Hellenkämpers Blick, erkennbar auf Einverständnis drängend, suchte Steiner. Der wiederum sah Heintges an. „Ihre Meinung, Herr Hauptkommissar!“
„Es hat wenig Sinn, wenn ich meinen Senf dazu gebe. Das Prisenkommando muss die Freiheit haben, sein Handeln der jeweiligen Situation vor Ort anzupassen. Das gilt ganz besonders im Unterdeck, wo zunächst die Freiwache auszuschalten ist, anschließend der Kapitän und der Unbekannte, sollte es ihn geben und, nicht zu vergessen, die Frau. Zwei voneinander getrennte Treppenabgänge, vier Kojen, vier, vielleicht fünf Gegner! Das allein schon beschreibt die Komplexität der Aufgabe. Was ist zum Beispiel zu tun, sollte die Freiwache nicht schlafen? Wir können deren Kajütenfenster von hier aus nicht sehen! Mit einem Wort: Die angemessene Vorgehensweise kann nur vor Ort entschieden werden! Grundsätzlich scheinen aber Einleitung der Aktion und Vorgehensweise im Oberdeck, wie von Herrn Hellenkämper vorgeschlagen, angebracht.“
„In Ordnung. Herr Schöller, Ihr Kommentar?“
„Ich halte sie ebenfalls für sinnvoll, doch letztendlich – da schließ‘ ich mich meinem Kollegen an – bestimmt die Situation vor Ort das Geschehen. Natürlich sind wir bemüht, unerkannt an Bord des Schiffes zu gelangen und die Aktion mit der Besetzung des Oberdecks einzuleiten. Das Risiko liegt darin begründet, dass das Boarding unter Umständen nicht unentdeckt bleibt. In diesem Fall bestünde die Gefahr der Geiselnahme …“ Schöller stockte, sah Pohl mit erkennbarem Bedauern an. „Entschuldigung, Professor! Aber ich muss es ansprechen: Werden wir entdeckt, bevor wir das Schiff unter Kontrolle gebracht haben, ist die Geiselnahme Ihrer Töchter die wahrscheinlichste Option.“
Pohl vermied, Schöller anzusehen. Stumm nickte er vor sich hin. Natürlich war auch er sich dieses Risikos bewusst, doch bisher hatte er es erfolgreich ausgeblendet. Wochenlang hatte er der Befreiungsaktion entgegengefiebert, doch je näher ihr Zeitpunkt nun kam, desto größer wurden die Zweifel, sie ohne Gefährdung der Kinder ausführen zu können.
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