Coins - Die Spur des Zorns
Doch gab es eine Alternative? Er hob den Kopf, sah Schöller an. „Was schlagen Sie vor?“
„Wir müssen einen Zeitpunkt wählen, der dieses Risiko minimiert. Wann wurden gestern die Lichter auf der Henrietta gelöscht? Haben Sie das zufälligerweise notiert?“
Steiner lächelte bei dem Wort ‚zufälligerweise‘. „Haben wir, Herr Hauptkommissar. Obermaat Krämer kennt die Zeiten vermutlich aus dem Gedächtnis. Er ist nicht nur unser bester Beobachter – sein Gedächtnis ist so zuverlässig wie ein Memory Stick. Nun, wie schaut’s aus, Gunther?“
„Der Kapitän verließ das Oberdeck abends um acht. Das Licht im Zwischendeck wurde um halbzwölf gelöscht. Die steuerbordseitigen Lichter im vorderen Mittschiff, das wäre die Koje der Mädchen, waren bereits um neun Uhr zehn verlöscht, die im Mittschiff um eins. Die steuerbordseitige Kabine im Vorschiff blieb die ganze Zeit dunkel. Die backbordseitige Beleuchtung des Unterdecks entzog sich situationsbedingt der Beobachtung. Ausgerechnet dort ist die Freiwache untergebracht.“
„Danke, Gunther.“ Steiner schien mit der Gedächtnisleistung seines Obermaats zufrieden. „Wir sollten frühestens zwei Stunden nach dem Verlöschen des letzten Lichts angreifen. Herr Schöller, Peter, sorry, Herr Hellenkämper sagte mir, die Übergabe der Mädchen auf hoher See stünde unmittelbar bevor. Ist das richtig?“
„So war die Information zu verstehen.“
„Die Information?“
„Eine SMS aus Belgien.“
„Eine SMS? Ist das alles?“ Steiner blickte Schöller skeptisch an.
„Wir haben nicht mehr.“
„Verstehe.“ Steiner schien einen Moment nachzudenken. Offensichtlich fand er keinen Gefallen an dieser Situation. „Bisher fehlt uns hierfür jeglicher Hinweis. Dennoch müssen wir uns darauf einrichten, dass die Henrietta möglicherweise in der kommenden Nacht ablegt. Was tun wir, wenn wir auf der Henrietta Vorbereitungen zum Auslaufen feststellen, bevor wir zum Boarding befähigt sind?“
Steiners kreisender Blick endete beim Kollegen der Küstenwache. Heintges war anzusehen, dass ihm die Antwort selbst nicht gefiel. „Ich sagte es vorhin, wenn auch in anderem Zusammenhang: Dann bleibt uns nur das Monitoring, aber bei den herrschenden Witterungsverhältnissen wäre, abgesehen vom Küstenradar, selbst das jenseits unserer Möglichkeiten. Blieben nur Ihre Kapazitäten, Herr Kaleu.“
„Das Monitoring ließe sich unabhängig vom Wetter organisieren. Das Boarding, sobald die Verhältnisse dies zulassen, ebenfalls, sollte ich bereit sein, Kopf und Kragen zu riskieren. Fänden wir nichts an Bord der Henrietta, das diese Aktion rechtfertigt, wird Mister Dolittle sicherlich nicht amüsiert sein. Was ich aber nach dieser Besprechung vorsorglich veranlassen werde, ist die Erfassung sämtlicher Schiffe, die theoretisch in der Lage wären, bis zum Morgengrauen den fiktiven Übergaberaum ostwärts von Bornholm oder im Bodden zu erreichen. Der Abgleich der abgefragten Zielhäfen mit den jeweiligen Hafenregistern wird den Kreis der Verdächtigen reduzieren. Sollte eines dieser Schiffe vom Kurs abweichen und das Seegebiet ostwärts Bornholms oder den Bodden ansteuern, wird die Überwachungsmaschinerie der Marine ausgelöst. Gibt der Dampfer keine plausible Erklärung für den Kurswechsel, ist Boarding im Bereich des Möglichen, vorausgesetzt, das Wetter erlaubt den diesbezüglichen Einsatz unserer Mittel, sei es zu Wasser oder aus der Luft. Das schließt eine solche Aktion in internationalem Gewässer ausdrücklich ein. Das alles kann allerdings nur erfolgen, wenn der Henrietta die Flucht aus dem Hafen gelingt und anders die Übergabe der Mädchen auf offener See nicht zu verhindern ist. Ich brauche Ihnen sicherlich nicht zu sagen, dass diese Operation das Ende meiner militärischen Karriere bedeutet.“
Trotz dieser für ihn ungünstigen Prognose lächelte der Kaleu Pohl aufmunternd zu. „Professor, sollten die Ganoven den Fehler machen, Ihre Töchter an Bord nehmen zu wollen, packen wir sie bei den Hammelbeinen! Natürlich würden wir auch die Henrietta überwachen, aber dort verböte sich ein Eingreifen, solange wir davon ausgehen müssen, dass Ihre Töchter an Bord sind. Stichwort ‚Geiselnahme‘, Sie verstehen?“
Er richtete sich zu voller Größe auf, schaute motivierend in die Runde. „Darum, Männer, lasst uns darauf bauen, dass die Henrietta an der Mole liegt, wenn die Aktion startet! Damit komme ich zum letzten Punkt: der unbeobachteten Annäherung.
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