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Coins - Die Spur des Zorns

Coins - Die Spur des Zorns

Titel: Coins - Die Spur des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Justus
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zog die Stange ein Stück weiter aus den Fluten, doch plötzlich ließ die Last nach. Der Schiffshaken schoss, scheinbar federleicht, ein Stück weit in die Höhe. Pohl wusste in diesem Moment, er hatte den Kampf gegen die Naturgewalt verloren.
    Er wagte nicht, in die Tiefe zu schauen. Vor seinen Augen hob sich die schäbige Bordwand der Baltic Vis, provozierend träge, gänzlich unbeeindruckt von der Dramatik des Geschehens, so nah, dass er sie hätte berühren können. Endlich beugte er sich über die Reling, zog den Schiffshaken aus der schäumenden Gischt. An ihm hing nichts als ein triefender Jackenärmel. Ein ängstlicher Blick in die Tiefe – von dem Inder war nichts zu sehen. Doch plötzlich gab der Schaum auf der Wasseroberfläche wippende Textilien preis, färbte sich, eben noch leuchtend weiß, in verwaschenes Rosa, schließlich – einen flüchtigen Moment nur – blutrot, bis ihn das schwappende Wasser zerteilte, zwischen den Rümpfen auseinander trieb,
    als gälte es, die Spuren des vergeblichen Kampfes zu tilgen.
    Pohl starrte, zu keinem Gedanken fähig, in die Tiefe, war irgendwie erleichtert, dass es vorüber war. Doch was war das? Ölig schwarz tanzte
    etwas Unerklärliches geschmeidig auf der Wasseroberfläche, wogte im Gleichklang der sich kreuzenden Wellen auf und nieder. Zu Tode erschrocken erkannte Pohl, um was es sich dort unten handelte: Es war der Haarschopf des Inders, gehalten von einem quallengleich dahintreibenden Hautlappen! Entsetzt starrte er auf das Wenige, das die entfesselte Natur von einem Menschen übrig gelassen hatte, der vor allenfalls zwei, drei Minuten noch nichts von seinem grässlichen Schicksal ahnte. Pohl starrte und starrte, unfähig, seinen entsetzten Blick vom Skalp des Inders zu lösen, bis diesen endlich eine Welle unter die Yacht spülte.
    Pohl spürte aufkommende Übelkeit, kämpfte verbissen dagegen an. Er wandte sich zum Ruderstand, erhoffte sich von dort seelischen Beistand. Allein würde er mit dem eben Erlebten sicherlich nicht fertig! Sie sahen sich an. Hellenkämper hob verzagt die Schultern, blickte aus seltsam toten Augen. Gewiss, der Inder war ihr Gegner, vermutlich führendes Mitglied dieser elenden Verbrecherbande, keine Sekunde hätten sie gezögert, im Falle der Notwehr auf ihn das Feuer zu eröffnen. Sie hätten seinen Tod in Kauf genommen, ganz ohne Frage! Doch es war etwas gänzlich anderes, hautnah miterleben zu müssen, wie ein Mensch, mochte er noch so verachtenswert sein, zwischen zwei stählernen Ungetümen bis zur Unkenntlichkeit zerquetscht wurde. Das Bild dieses blutroten Schaums, des auf den Wellen tanzenden Skalps würden sie so rasch nicht aus ihrer Erinnerung tilgen können. 
    Noch immer blickten sie sich an, stumm, unfähig, die erlösende Formel zu sprechen, die sie aus der Schockstarre hätte erlösen können. Die Welt um sie herum schien zu versinken, Bilder und Geräusche hatten ihre Bedeutung verloren. Nichts als Stille und Leere und dieses letzte scheußliche Bild. Was sie nicht ahnten – die Apokalypse war noch nicht beendet!
    In die vermeintliche Stille fiel dröhnend ein Schuss. Pohl wollte ihn ignorieren, einfach überhören. Er war nicht mehr aufnahmebereit! Das musste man doch verstehen! Jemand hatte geschossen. Na und? Was ging ihn das an? Doch dann sah er Hellenkämpers Blick. Mit weit aufgerissenen Augen, offensichtlich fassungslos, blickte der auf etwas in Pohls Rücken. Mit einem Male war Pohl zurück in der Wirklichkeit: Der Maschinist! Wieder hatte er versagt, schon wieder hatte er den eiskalten Verbrecher aus den Augen gelassen!
    Pohl schoss herum, sah, wie das verhasste Scheusal hinüber zur Baltic Vis starrte, im aschfahlen Gesicht den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens, den Mund geöffnet, als hätte er Wichtiges zu verkünden. Doch der Mund blieb stumm. Er hob die Linke, ganz langsam nur, wies erst auf die Reling der Baltic Vis, dann starrte er hinüber zu Pohl, zeigte auf diesen, einem Ankläger gleich, schien Worte formen zu wollen, doch kein Laut drang über seine Lippen. Pohl bemerkte, wie sich die Montur des Maschinisten zwischen den Oberschenkeln nassglänzend schwärzte. ‚Er pinkelt sich in die Hose!‘ Häme, zurückkehrendes Selbstbewusstsein: Er hatte nicht versagt!
    Pohl war zu fertig, die wahre Bedeutung dieser Feststellung zu erfassen. Doch dann traf es ihn wie ein Keulenschlag: Zwei Finger breit unter dem linken Auge des Maschinisten erkannte er im Jochbein ein Loch, nicht allzu groß,

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