Coins - Die Spur des Zorns
spürte den krampfenden Magen, kämpfte verbissen gegen die aufkommende Kotze.
Pohl schien das alles nicht zu rühren. Er schob mit einem schnoddrigen ‚Man darf eintreten?‘ Anna zur Seite, betrat, ohne dessen Antwort abzuwarten, den als Diele gedachten Vorraum, von Anna zur Rumpelkammer degradiert. Er bahnte sich den Weg zu einer rechterhand offenstehenden Tür, die den Blick auf eine Kochstelle gestattete. Er schaute sich kurz nach Anatol um, dann nahm ihn der Anblick des ihn umgebenden Gerümpels gefangen. Massenhaft geleerte Bier- und Cola-Dosen lagen einträchtig neben vielfarbigem Durcheinander unterschiedlich verschlissener Turnschuhe und Trainingsanzüge. An der Rückwand stapelten sich überwiegend ungeöffnete Kartons vielfältiger Farben und Größen, teils mit, teils ohne Firmenaufdruck. Diebesgut? Unmittelbar neben den Kartons gewährte eine weitere offenstehende Tür den Blick ins Bad. Pohl war alles andere als unglücklich, dass sich dessen Zustand ihm aufgrund der Dunkelheit verbarg. Es stank nach übervollem Mülleimer, kalten Kippen, Verdorbenem, vielleicht auch schalem Bier oder Ähnlichem, so genau ließ sich der Mief nicht zuordnen. ‚Gelüftet wird hier wohl nie. Wie mag das erst im Sommer stinken?‘ Sein Blick fiel auf Anatol, der noch immer regungslos in der Eingangstür stand, ihn mit furchtsamem Blick beobachtete.
„Komm her! Ich hab‘ mit dir zu reden. Und mach‘ die Tür zu!“
Anna folgte stumm der Aufforderung. Pohl betrat den Wohnraum, wartete dort neben dem Tisch, einem hölzernen Ungetüm, das ganz und gar nicht so recht in die winzige Bude passen wollte. Er verfolgte grienend Annas Bemühen, in der Enge des Raumes den größtmöglichen Abstand zu ihm einzuhalten. „Was ist los, Anna? Du freust dich ja gar nicht!“
„Was willst du?“
„Dir zuhören.“
„Willst du mich verarschen?“
„Keinesfalls, Anna. Du wirst gleich sehen, wie ernst es mir ist. Setz dich! Dein Handy!“ Er streckte Anatol die Hand entgegen. Der zögerte einen Moment, schien sich dann eines Besseren zu besinnen. Er griff in die Tasche, reichte Pohl das Handy.
„Krieg ich es wieder?“
Pohl schüttelte den Kopf. „Du brauchst es nicht mehr.“
„Aber …“ Anna unterdrückte seinen Einwand, als er Pohls Gesichts-ausdruck sah. Das war kein Gesicht, das war die Fratze des Scharfrichters! Er spürte den pochenden Puls.
Pohl glaubte zwar nicht an nützliche Informationen zu kommen, dennoch würde er Anna unangenehme Fragen stellen. Es war mehr ein Ritual, Genugtuung auslösender Bestandteil der Vergeltung. Die Art des gewaltsamen Abgangs von Abdullah, Sascha und Victor hatte ihn um diese Komponente der Bestrafung gebracht. Heute freilich bot sich die Gelegenheit, und Anna sollte dies zu spüren bekommen. Der blickte Pohl angsterfüllt an, schien zu wissen, was auf ihn zukam.
Pohl übersah Anatols Nöte geflissentlich. Er ließ den Blick durch den Wohnraum schweifen. Die Räumlichkeit zu kennen konnte von Vorteil sein, sollte die Situation, aus welchem Grund auch immer, aus dem Ruder laufen. Die Kochstelle wurde durch einen schmucklosen Spind vom eigentlichen Wohnraum getrennt. Unmittelbar hinter dem Schrank verkörperte eine auf dem Boden liegende Matratze, darauf ein arglos hingeworfener Bundeswehrschlafsack die Schlafstatt. Dann gab es noch entlang der fensterabgewandten Zimmerwand eine Reihe Holzkisten, vermutlich aus irgendeinem Billigmöbelprogramm. Die speckige Tapete darüber verriet, dass sie nicht nur der Unterbringung von Anatols Krempel, sondern ebenfalls als Sitzgelegenheit dienten. Direkt auf dem welligen PVC-Boden stehend schloss ein Fernseher älteren Baujahrs, gekrönt von einer vielfach gebogenen Zimmerantenne, die ‚Einrichtung‘ ab. Das Kabel schlängelte sich durch den gesamten Raum bis hinüber zur Stirnwand. Diese wies außer einem vergammelten Aktposter zwei Türen auf.
„Wohin führen die Türen?“
Annas Blick flog zwischen Pohl und den angesprochenen Türen hin und her. Pohls Miene überzeugte ihn – rasche Antwort war das Gebot der Stunde! „Eine in die Abstellkammer, die andere aufs Dach.“
„Aufs Dach? Du kannst von deiner Wohnung aufs Dach?“
„Das Flachdach vom nächsten Treppenhaus. Bei gutem Wetter schlaf ich im Sommer da drauf.“
„Ist ja schierer Luxus hier oben …“ Pohl stutzte. Erst jetzt hatte er das Fünfmarkstück auf dem Tisch bemerkt. Er nickte in dessen Richtung. „Du weißt, was das bedeutet?“
„Keine Ahnung. Sag’s
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