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Coins - Die Spur des Zorns

Coins - Die Spur des Zorns

Titel: Coins - Die Spur des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Justus
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Allmächtige?“
    „Dazu brauchst du nicht Gott zu sein! Das ist schlichte Gerechtigkeit. Wer sich wie ein Schwein benimmt, darf sich nicht wundern, wie ein Schwein behandelt zu werden. Und nun trink!“
    Anatol hob grinsend das Glas, leerte es in einem Zug. Er rülpste ungeniert, wischte sich den Sabber aus den Mundwinkeln. Dann zeigte er auf die Blechschachtel. „Jetzt darf ich?“
    „Du darfst.“
    Pohl beobachtete mit Abscheu, wie sich Anatol abmühte, den Gürtel aus seiner Hose zu zerren. Mit fahrigen Fingern öffnete er die Blechschachtel. Wieder dieses abstoßende Grinsen, als er im Innern der Schachtel die Spritze erblickte. Plötzlich wurde er hektisch, riss sich den linken Hemdsärmel hoch, schlang trotz des inzwischen beachtlichen Alkoholpegels routiniert den Gürtel um den Oberarm, zog ihn zu. Er nahm die Spritze, drückte geübt den Kolben ein Stück weit hinein, bis ein hauchdünner Strahl in die Höhe schoss. Dann tastete er mit dem Mittelfinger zwischen zahlreichen Narben nach der Vene. Pohl schaute weg, als er die Nadel unter die Haut trieb.
    „Eh!“
    Pohls Kopf fuhr herum. Anatol grinste ihn an. „Tschüss, Arschloch!“ Langsam drückte er den Kolben in den Zylinder. Pohl starrte angewidert auf die bläulich geschwollene Vene, deren Verlauf von zahlreichen kaum verheilten Einstichen gekennzeichnet war. Er zog den Ärmel seiner Jacke zurück, schaute auf die Uhr. Er war im Zeitplan. In einer halben Stunde hätte Anna es hinter sich. Bis dahin wäre er in Düsseldorf.
     
    Pohl hielt die Rotweinflasche in die Höhe. Kopfschüttelnd quittierte er ihren bedauernswerten Zustand: Sie war bis auf einen kümmerlichen Rest geleert. ‚Mein lieber Mann!‘ Er hatte gar nicht bemerkt, in der Kürze der Zeit derart gnadenlos zugeschlagen zu haben. Alkohol – Fluchtmittel aus erschreckender Realität? Das war er wohl. Er musste sich eingestehen, dass er sich immer wieder selbst betrog, sobald er sich einredete, seinem Vergeltungsfeldzug mental gewachsen zu sein. Sicher, es war für ihn selbst überraschend, mit welcher Abgeklärtheit er die jeweiligen Aktionen durchführte, aber jedes Mal wurden sie gefolgt von Selbstzweifeln, von immer wieder neuem Erschrecken vor sich selbst. Seine Rechtfertigungsversuche lasteten auf verdammt tönernen Füßen! Nacht für Nacht kam sie über ihn, unweigerlich, innerlich Kälte verströmend, die grausige Erkenntnis: Er war ein Mörder! Seit heute ein fünffacher Mörder!
    Am meisten machte ihm zu schaffen, mit niemandem sein geheimes Wissen, diese die Seele  zermürbende Last teilen zu können. So war es auch diesmal wieder. Als die Überdosis Heroin zu wirken begann, Anatols Atmung innerhalb weniger Minuten bis zur Nichtwahrnehmbarkeit verflachte, hatte er die Flucht angetreten, in der Hoffnung, den Tod des fünften Opfers rascher als den der Vorgänger aus der Erinnerung verbannen zu können. Inzwischen wusste er, dass ihm dies nicht gelänge. Niemand, der ihm zuhören würde, der seine Zweifel teilen, vielleicht gar entkräften könnte. Eine zweite Flasche? Er schüttelte den Kopf. Er durfte nicht leichtsinnig werden! Was geschähe, wenn ihn Schöller danach anriefe? Hätte er sich noch unter Kontrolle? Nein, keine zweite Flasche!
    Plötzlich drängte die Erinnerung an Esther in seine Gedanken. Mit ihr könnte er sprechen! Er schaute auf die Uhr. Eine Stunde blieb ihm noch, dann wäre es an der Zeit, zu Kreuzers Eck aufzubrechen. Er musste dort hin, er konnte sich jetzt nicht verkriechen! Wollte er in Erfahrung bringen, wo Alena und Alexa versteckt gehalten wurden, musste er Kustow zermürben. Die Besuche in Kreuzers Kaschemme waren Teil der Strategie. Nur dort bestand die Möglichkeit, sich in Kustows Vertrauen zu schleichen. Doch eine Stunde blieb ihm noch. Er zog das iPhone hervor, tippte Esthers gespeicherte Rufnummer an. Zurückgelehnt blickte er hoch zur Zimmerdecke, die Gedanken längst in einer kuscheligen Pension am Ufer eines einsamen Sees inmitten der Wälder West Virginias. Er zählte die Freizeichen: fünf, sechs …
    „Hello!“
    Esthers Stimme! Nie hätte er es für möglich gehalten, dass ein simples ‚Hello!‘ über mehr als 6.000 Kilometer hinweg derartige Emotion auslösen könnte. Herz, Hirn und Bauch schlugen Purzelbäume! „Hallo Esther! Ich bin’s, Jan …“ Er lauschte in den Äther, fast ängstlich, Esther könnte nicht wie erhofft reagieren.
    „Du bist es wirklich?“
    Er hörte ihren Atem. Zumindest war er davon überzeugt. Sie

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