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Coins - Die Spur des Zorns

Coins - Die Spur des Zorns

Titel: Coins - Die Spur des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Götz Justus
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trauen zu können: Ein Seitenschneider schlitterte, keinen Meter von ihm entfernt, über die Tischplatte. Reflexartig wandte er sich um. Dort stand im Türdurchgang der Fremde, nickte ihm zu, um sogleich wieder zu verschwinden. Was wurde hier gespielt?
    Egal, er musste den Seitenschneider zu fassen bekommen! Im Vergleich zur Pistole war er das weitaus geeignetere Werkzeug, dreier Kabelbinder ohne Gefahr der Selbstverletzung Herr zu werden! Kustow sprang auf, warf seinen Oberkörper so weit nach vorn, dass die Fußfesseln schmerzhaft in die Fersen schnitten. So sehr er sich auch mühte, es gelang ihm nicht, den Seitenschneider zu ergreifen, zu weit war er gerutscht. Er fluchte in ordinärstem Russisch. Mein Gott, war er ein Esel! Warum hatte er sich umgeschaut, statt den in Griffweite an ihm vorbei schlitternden Seitenschneider zu ergreifen?
    Die Waffe! Sie lag günstiger, vielleicht bekäme er diese zu fassen! Wieder warf er sich über den Tisch, ignorierte den höllischen Schmerz in der Ferse, je weiter er sich nach vorn reckte. Endlich konnte er den Lauf der Waffe ergreifen. Doch kaum hatte er sich aufgerichtet, stürmten drei Männer in die Halle. Verdammte Scheiße – er war noch immer an den Tisch gefesselt! Mit geübtem Blick erkannte Kustow: Polizei, vorneweg ein Zivilbeamter in wehendem Trenchcoat, dicht gefolgt von zwei Uniformierten. Sie hatten ihn längst erkannt, hielten ihre Pistolen auf ihn gerichtet, während sie in aufgefächerter Formation auf ihn zu rannten. Niemals ginge er in den Knast!
    Reflexartig hob Kustow die Waffe, begann in sinnloser Wut, auf die heranstürmenden Polizisten zu feuern, doch im selben Augenblick trafen ihn mehrere Kugeln, zwei in rascher Folge im Schulter- und Brustbereich, dann noch eine in der Magengrube. Er spürte die Wucht der Geschosse, keinen unmittelbaren Schmerz, nur die brutalen Einschläge, die ihn nach hinten taumeln ließen. An das Tischbein gefesselt um festen Stand bemüht, duckte er sich instinktiv, warf mit verzweifelter Anstrengung den Oberkörper nach vorn, wankte einen Moment, den Blick starr auf die Angreifer gerichtet. Er wollte die Waffe heben, doch ihm fehlte die Kraft. Die Beine versagten den Dienst, er schwankte, als sei er betrunken, schon verlor er das Gleichgewicht. Im Fallen erkannte er noch, dass die Männer stehen geblieben waren, der vorn stehende Zivilbeamte ihn erschrocken anstarrte, dann wurde es Nacht um ihn. Den Aufschlag seines Oberkörpers auf die Tischplatte bekam er schon nicht mehr mit, auch nicht, wie sein Körper zurückrutschte, auf der Tischplatte eine blutige Spur zog, bevor er reglos liegenblieb. Unter seiner Brust quoll Blut hervor, hellrot breitete es sich auf der stählernen Tischplatte aus. Ein letztes verzagtes Schnaufen, ein Zittern – nur wenige Sekunden noch, dann wäre Boris Kustow nicht mehr.
    Schottky hatte sich nach dem ersten Schock aufgerafft, mit raschen Sätzen den Tisch erreicht. Sein Gesicht war aschgrau. Er legte zwei Finger an die Halsschlagader des Sterbenden. Nun erreichten ihn auch die beiden Uniformierten. Fragend starrten sie ihn an. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis Schottky den Kopf schüttelte. Auf seiner Stirn formierten sich Schweißtröpfchen zu einem ungeordneten Netzwerk der Verzweiflung. Er hatte soeben einen Menschen erschossen! Den ersten in seinem Leben! 
     
    „Gut, dass wir beide die Gelegenheit haben, miteinander zu reden, bevor die Sache Kreise zieht. Kaffee?“
    Der Leitende Oberstaatsanwalt sah Schöller fragend an. Der schüttelte den Kopf. Kaffee auf nüchternen Magen war nicht sein Ding. „Nein danke. Was meinen Sie damit – ‚bevor die Sache Kreise zieht‘?“
    „Nun, wir haben einen Toten, der dummerweise keine Aussage mehr machen kann, und wir haben eine Beschwerde des Innenministeriums, dass noch immer das Babylon von Ihren Leuten observiert wird. Diese Beschwerde bezieht sich weniger auf den Sachverhalt der Observierung dieses Etablissements – die mag ja, obwohl ich das nicht glaube, gerechtfertigt sein –, als vielmehr auf spezielle Personen, deren Persönlichkeitsrechte im Rahmen der Observierung in gravierender Weise beeinträchtigt werden. Dies gilt ganz besonders für Dr. Heisterkamp sowie Dr. Niedermeyer, den Integrationsbeauftragten der Landesregierung. Beiden Herren sowie deren Fahrern fiel wiederholt auf, dass sie vor dem Babylon von Ihren Leuten fotografiert wurden. Das Ministerium verlangt die Herausgabe der Fotos sowie der personenspezifischen

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