Coins - Die Spur des Zorns
halle schienen folgen, am hallenende links – alte waschkaue. achtung: traegt schusswaffe!
So sehr sich Kustow auch bemühte, aus der Daumenstellung des Fremden auf den Text rückschließen zu können – die Botschaft blieb ihm verborgen. Argwöhnisch beobachtete er, wie der Fremde das Handy vor sich ablegte, dann nach seinem iPhone kramte, um es daneben zu legen. Das alles ging recht umständlich vonstatten, weil der Verrückte ständig die Waffe auf ihn gerichtet hielt. Als der Fremde von dem iPhone eine Rufnummer ablas, diese auf das Handy übertrug, um anschließend die SMS abzuschicken, begriff Kustow zwar den Sinn, nicht aber das konkrete Ziel dieser Übung. Wen hatte der Fremde benachrichtigt? Worüber? Was hatte das verdammte Arschloch vor?
Kustow blickte über den Tisch hinweg, erkannte plötzlich etliche Kabelbinder in der Linken des Verrückten. Was sollte das nun wieder? Der Fremde warf ihm einen davon zu. „Binde deine linke Fessel ans Tischbein!“
„Fessel?“
„Dein linkes Bein! Direkt überm Fuß! Und versuch‘ erst gar nicht, den Tisch anzuheben. Er ist mit dem Hallenboden verschweißt.“ Pohl trat neben den Tisch, beobachtete, die Waffe nun auf Kustows Schädel gerichtet, dessen ungelenkes Bemühen, den Kabelbinder um Ferse und Tischbein zu winden, dann einzufädeln. „Zieh ihn stramm! … Hier, die beiden auch noch!“ Er warf ihm zwei weitere Kabelbinder zu. Der Russe, nun wieder restlos verunsichert, schielte ratlos zu dem Fremden hinüber, bevor er sich beeilte, mit hochrotem Kopf der Aufforderung nachzukommen. „Stramm ziehen, hab‘ ich gesagt!“ Zur Untermauerung seiner Humorlosigkeit wedelte Pohl mit der Pistole. In sich hineinfluchend zog Kustow die Kabelbinder stramm. Er spürte den beißenden Schmerz in der Ferse, als er heimlich versuchte, die Fesselung mit dem Fuß zu lockern. Keine Chance. Resigniert starrte er den Fremden an. Was mochte jetzt kommen?
„Nimm den Stuhl und setz dich!“
Pohl wartete, bis der Russe zögerlich Platz genommen hatte. Kustow war deutlich anzusehen, wie sehr ihm die abgeforderte Unterwürfigkeit zuwider war. Pohl sah es mit Skepsis, war ihm doch der Jähzorn bekannt, mit dem der Russe auf Situationen reagierte, denen er sich nicht gewachsen fühlte. Pohl sollte sich nicht getäuscht haben. Mit einem Male sprang Kustow auf, der Kopf hochrot, Wut loderte in seinen Augen. „Was soll das, Mann?“ Er griff in die Hemdtasche, knallte das Fünfmarkstück auf die Tischplatte. „Steck’s dir in den Arsch! Erschieß mich, wenn du Mumm hast! Das macht deine Alte auch nicht lebendig …“
Sein Geschrei ging im Lärm des Schusses unter. Die Kugel hatte ein Stuhlbein getroffen, war von dort schrill sirrend weitergeflogen, um nach wenigen Metern funkensprühend auf dem stählernen Hallenboden aufzuschlagen, während der Stuhl Kustow hart am Knie traf. Pohl wartete, bis das vielfältige Echo abebbte. Er hob den Lauf der Waffe ein wenig. „Der nächste Schuss zerfleddert die Lächerlichkeit in deiner Hose!“
„Leck mich!“
Der zweite Schuss streifte den Hintern des Russen. Reflexartig griff der sich an die Fleischwunde, spürte erst jetzt den aufkommenden Schmerz. Erschrocken zog er die Hand zurück, starrte mit aufgerissenen Augen auf das Blut in seiner Handfläche. Nun erkannte auch Pohl den dunklen, rasch größer werdenden Fleck an Kustows Hintern. „Dreh dich ein Stück von mir weg!“ Instinktiv gehorchte der Russe, auf einen Disput wollte er es nicht mehr ankommen lassen. Pohl sah in der Jeans das Einschuss- sowie nur wenige Zentimeter davon entfernt das Ausschussloch. „Ist ein Streifschuss. Halb so wild. Glaubst du mir jetzt? Noch ein Palaver und du kannst deinen Schniedewutz von der Tischkante kratzen! Halt‘ also die Klappe und setz dich wieder hin!“
„Setzen?“ Kustow starrte ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht an. Die Wirkung des Adrenalins schien nachzulassen.
„Auf die unversehrte Backe! Es wird schon gehen.“ Pohls Waffe war stoisch auf die Stelle gerichtet, die er als nächstes Ziel angekündigt hatte. Kustow folgte zähneknirschend der Aufforderung, dies mit einem Blick, in dem Trotz und Todesangst um die Vorherrschaft rangen. Pohl hatte ihm gegenüber Platz genommen, wies mit dem Pistolenlauf auf das Fünfmarkstück. „Steck das Geldstück wieder ein!“
Nun war auch der letzte Zweifel beseitigt: Der Fremde hatte seinen Tod beschlossen, er würde nicht davor zurückschrecken, das Urteil zu vollstrecken.
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