Coins - Die Spur des Zorns
Leuchtziffern von der Zähflüssigkeit der Wartezeit kündeten. Es half nichts, er selbst hatte Ort und Zeitpunkt gewählt, in der Erwartung, diesmal die besten Voraussetzungen für den bevorstehenden Angriff zu schaffen. Er hatte bei der Kustow-Inszenierung in der Industrieruine erneut Fehler begangen, die ihn nachträglich in Angst und Schrecken versetzten. Wie konnte er den Seitenschneider vergessen? Vor allem aber: Er hatte Kustow in dem Magazin sechs Schuss gelassen! In welch fatale Situation hätte er sich gebracht, wäre Schottky oder einer der Beamten der Schießerei zum Opfer gefallen! Andererseits: Was wäre geschehen, hätte Kustow das Gefecht überlebt? Er hatte sich vor dem Russen enttarnt, sich als Ehemann der Ermordeten, Vater der entführten Mädchen zu erkennen gegeben! Zu viele Fehler! Er durfte sich keine erneuten leisten! Doch hatte er bei dem bevorstehenden, alles entscheidenden Schlag wirklich alles bedacht? Er verdrängte die plötzlich aufkommenden Zweifel; bevor sie sich seiner Gedanken bemächtigen konnten, konzentrierte er sich wieder auf das bevorstehende Geschehen.
Es war noch immer stockfinster, als im Obergeschoss des Bedienstetenhauses, ein Nebengebäude des opulenten Garagentrakts, Licht gemacht wurde. Endlich! Es war die Wohnung des Fahrers, vermutlich das Schlafzimmer. Im benachbarten Gebäudeteil war der Gärtner mit seiner Familie untergebracht. Auch dessen Söhne, beide so um die zwanzig bis Mitte zwanzig, arbeiteten auf dem Anwesen. Ihre Funktion hatte Pohl in der Kürze der Zeit nicht in Erfahrung bringen können. Von der Statur her hätten sie ohne weiteres auch Bodyguards sein können.
Der Fahrer lebte mit seiner Frau allein, die Kinder – er hatte ebenfalls zwei Söhne – hatten das Haus vor Jahren verlassen. Pohl wusste das alles von der Köchin. Er hatte sie tags zuvor angesprochen, als sie das Anwesen verließ, sie – den Immobilienteil einer Zeitung in der Hand – gefragt, welche Hausnummer das Nebengebäude habe. Er würde sich für die freiwerdende Wohnung interessieren. Es müsse sich da um einen Irrtum handeln, ihres Wissens würde darin keine Wohnung frei. Die beiden Wohnungen dort würden von den Familien des Chauffeurs und des Gärtners bewohnt. Glücklich, ihr Wissen mitteilen zu können, erzählte sie aus freien Stücken weit mehr, als Pohl in Erfahrung bringen wollte. Er könne auch den Fahrer fragen, der träfe abends stets gegen halb sieben mit Herrn Charif ein, fahre den Wagen anschließend in die Garage. Nach dem Gärtner befragt erwiderte sie, dass dieser in dieser Jahreszeit nur halbtags, das nur an drei Wochentagen, arbeite. Bevor er sie über dessen Söhne aushorchen konnte, schwang sie sich aufs Fahrrad. Sie sei schon spät dran, wünsche ihm alles Gute bei der Wohnungssuche. Dann trat sie in die Pedale.
Pohl hatte sich daraufhin wieder zum Garagentrakt begeben, dort das Umfeld nach einem geeigneten Versteck abgesucht, anschließend darin die Ankunft des Chauffeurs abgewartet. Es war schon dunkel, als dieser eintraf, den Wagen in die Garage fuhr, anschließend auf dem Weg zur Haustür den Vorplatz überquerte. Das trübe Licht der Vorplatzbeleuchtung gab nicht allzu viel preis. Der Chauffeur war um die fünfzig, schlank, relativ groß, vor allem aber eins: Er war Uniformträger! Zu seinem dunklen Anzug trug er eine ebensolche Schirmmütze. Das brachte Pohl spontan auf eine Idee, und genau diese Idee galt es nun umzusetzen. Wenn nur das Scheißwetter nicht wäre!
Hinter einem Fenster im Erdgeschoss verriet aufflackerndes Neonlicht, dass das Haus zum Leben erwachte. Offensichtlich handelte es sich um die Küche; geschäftiges Schattenspiel hinter der Gardine zeugte vom alltäglichen Aufwand der Frühstückszubereitung. Pohl knurrte bei diesem Anblick der Magen. Er hatte nach dem Aufstehen keinen Appetit, bereute nun, nichts gegessen zu haben.
Die Schattenspiele in der Küche hatten nach einiger Zeit ein Ende gefunden. Offensichtlich wurde dort nun gefrühstückt. In Pohls Gedanken drängte sich eine dampfende Kaffeetasse. Ihn fröstelte bei dieser verlockenden Vorstellung. Scheißkälte! Erneuter Blick auf die Uhr. Mein Gott – wie lange frühstückten die!
Endlich flammte im Flur Licht auf. Nun wurde es ernst! Pohls pochender Herzschlag dominierte einen Moment seine Wahrnehmungen. Die Aufregung! Es war ein gewaltiger Unterschied, in Kriminalfilmen stets funktionierende Szenarien zu verfolgen oder aber als Handelnder unmittelbar vor deren
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