Coins - Die Spur des Zorns
Handy. Pohls Kopf fuhr herum. Das Geräusch kam aus dem Wagen. „Das wird er sein.“ Erstmals zuckte ein säuerliches Lächeln um die Mundwinkel des Fahrers. Ob der Anruf dem Geschehen eine Wendung zu seinen Gunsten gab? Er hoffte es inständig.
Pohl langte in den Wagen, zog die Jacke heraus, suchte hektisch in den Taschen nach der Lärmquelle. Endlich! „Sag‘ ihm, das Garagentor habe geklemmt!“ Er stellte die Verbindung her, hielt dem Fahrer das Handy ans Ohr, gleichzeitig die Mündung der Walther an die Stirn. Der Blick des Fahrers signalisierte endgültig Resignation.
„Ja Chef? … Ich weiß. Das Garagentor klemmte, irgendwas mit dem Antrieb … Natürlich, wird gemacht … Ich fahre gleich los.“ Er blickte Pohl an. „Er wartet vor dem Hauseingang.“
Pohl richtete sich auf, steckte mit großer Selbstverständlichkeit das Handy ein, dann kramte er aus seiner Jackentasche das bewährte Panzertape. „Das muss sein. Mund zu!“ Er hatte mehrere Streifen bereits auf die erforderliche Länge gebracht, so dass die Knebelung des Überraschten eine Sache von Sekunden war. Ein letzter Blick auf den Gefesselten. „Das kann einige Zeit dauern. Ich sorg‘ dafür, dass man dich findet.“
Der wütende Blick des Fahrers verriet, dass er mit der Behandlung ganz und gar nicht einverstanden war, den Fremden zur Hölle wünschte. Pohl kümmerte es nicht. Der Höhepunkt der Aktion stand erst bevor. Er wusste, auf welches Vabanquespiel er sich einließ. Er hatte keine Wahl, fieberte mit extremer Anspannung dem alles entscheidenden Schlag entgegen, fürchtete gleichzeitig jedoch den ungewissen Ausgang. Schlüge die Aktion fehl, wäre er mit seinem Latein am Ende. Welchen Lauf nähme in diesem Fall das Schicksal seiner Töchter? Er verbannte den Gedanken. Nicht jetzt!
Entschlossen trat er an den Kofferraum, zog den Parker aus, stopfte ihn in den mitgebrachten Müllbeutel. Bisher hatte er an alles gedacht! Er verstaute das Päckchen im Kofferraum, trat an die Fahrertür, zog sich die Jacke des Fahrers an, ließ sich anschließend in den auffällig tief justierten Sitz gleiten. Gewiss, der Fahrer war größer als er, aber so groß war der Unterschied nun auch wieder nicht. Er begriff die tiefe Sitzposition, als er sich die Mütze aufsetzte. Sie war unerlässliches Requisit der bevorstehenden Aktion. Nach einem zweiten Versuch saß sie perfekt. Er zog die Tür zu, ließ den Wagen an. Die Wegfahrsperre! Langsam stieß er rückwärts auf den Vorhof, wartete dort, bis sich das Garagentor senkte. Er rückte den Wählhebel der Automatik nach vorn, ging von der Bremse, schon rollte die schwere Limousine geräuschlos an. Der für das Wohl und Wehe der entführten Mädchen schicksalhafte Schlag wurde in diesem Moment eingeleitet.
Samir Charif war wütend. Er war zu spät, und er fror. Beides konnte er auf den Tod nicht leiden. Besonders heute war eine Verspätung nicht hinnehmbar, da in der Frühe das entscheidende Gespräch mit den Auftraggebern anstand. Er sah schon Heisterkamp, wie dieser missbilligend auf die Uhr blicken würde, wenn er verspätet den Konferenzraum beträte.
„Endlich!“ Er hatte die ganze Zeit das Tor nicht außer Acht gelassen, erkannte nun dahinter das bläuliche Scheinwerferlicht seiner Limousine. Im selben Moment schwang das Doppeltor auf. Der schwere Benz schwenkte nach kurzem Halt in das Grundstück ein, kam in beeindruckend rascher Fahrt die Zufahrt hoch. Samir Charif verfolgte die rasante Anfahrt mit hochgezogenen Brauen. War Hassan noch ganz gescheit? Erst verspätete er sich und nun das?
Mit knirschenden Reifen kam der Wagen vor Charif zum Stehen. Die Fahrertür öffnete sich. „Bleib‘ sitzen. Wir müssen sofort los!“ Samir Charif ließ sich schnaufend in den Rücksitz fallen, zog wummernd die Tür ins Schloss. „Fahr los, aber langsam! Wie oft habe ich dir gesagt, dass du auf dem Grundstück nicht rasen sollst? Meinst du, ich habe Lust, mir wieder Helenas Theater anzuhören? Es sind ihre Hirsche. Sie hängt an den Viechern! Vergiss das nicht!“
Pohl rätselte, was das zu bedeuten hatte. Hielt die Lady etwa Hochwild auf dem Grundstück? Er hoffte, dass seine Schweigsamkeit ihn nicht verriete.
„Was ist mit dem Garagentor, Hassan?“
Pohl fühlte die schlagartig aufkommende Feuchte in seinen Handflächen, verstärkt durch die Latexhandschuhe. Jetzt wurde es gefährlich! Der Fahrer hatte zu wenig gesprochen, um sich Eigenarten seiner Sprechweise aneignen zu können. Er
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