Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

der jetzt die Kontrolle übernommen hatte, wusste aber, dass ich, wenn überhaupt, erst dann Zeit zum Weinen haben würde, wenn ich mehr herausgefunden hatte.
    Sorgfältig hielt ich die Geschwindigkeitsbegrenzung ein und achtete darauf, vorschriftsmäßig zu blinken, damit ich keiner Polizeistreife auffiel, die am Lake Shore Drive oft Radarkontrollen durchführten. An der Grand Avenue bog ich wieder ab und fuhr an den vielen Nachtschwärmern vorüber, die durch die Innenstadt bummelten. Der Regen hatte aufgehört, und es war eine schöne, laue Nacht. Nach all dem, was ich in den letzten Stunden erlebt hatte, überraschte es mich, dass die Welt ganz normal weiterging. Ich fuhr weiter nach Südwesten, bis das Glitzern der Magnificient Mile, Chicagos großer Einkaufsstraße, hinter mir verblasste. Erst kam ich durch Wohnviertel, dann durch Industriegebiete, dann durch die heruntergekommeneren Stadtteile, und dann endlich parkte ich vor dem Windy City Gym.
    Hinter dem Trainingscenter wohnte Willy Williams in einer kleinen, schmucken Wohnung.
    Er würde mich aufnehmen, mir zuhören und mir Schutz gewähren, das wusste ich.
    Jetzt musste ich mich mit Kämpfern umgeben.

11
    Mit unfreiwilligen Trennungen geht eine seltsame Art von Wut einher.
    Sie ist wie eine Orchidee, die aus dem stinkenden Dung eines einmaligen Geschehnisses erwächst, wenn das normale Leben plötzlich auseinandergerissen wird – in einen Teil, den man geliebt hat und den es nun plötzlich nicht mehr gibt, und in einen anderen, in dem man nun weiterleben muss, der sich aber isoliert, seltsam, verrückt und einsam anfühlt.
    Dann wartet man zunächst darauf, dass sich das Universum wieder zurechtschüttelt. Man wartet, denn man ist ja ein Mensch, und Menschen sind von Grund auf optimistisch. Wenn dann aber nichts passiert, kommt man sich vor wie ein Idiot.
    Wie ein Vollidiot, dem das Leben ziemlich übel mitgespielt hat.
    Und dann beginnt diese kleine, kalte Flamme zu flackern.
    Man ist nicht wütend auf die ganze Welt, und man will auch keine ungerichtete Rache an irgendwelchen Unschuldigen üben – nein, es ist ein scharfer Zorn, der so genau zielt wie ein Laserstrahl. Es entsteht eine konzentrierte Energie, bestens geeignet, um genau jenen Leuten die Zähne einzuschlagen und ihnen die Knochen zu brechen, die einem das angetan haben.
    Ich wusste nicht genau, wer diese Leute waren.
    Aber ich wusste, dass ich sie finden würde.
    Außerdem wusste ich, dass einer meiner Zähne wackelte und Harry zitternd in meinen Armen lag und dass ich vermutlich deswegen so seltsam ruhig war, als ich beim Windy City Gym auf die Klingel drückte, weil ich unter Schock stand.
    Schritte hallten durch das leere Lagerhaus, eine Schiebetür aus Metall wurde entriegelt und beiseitegerollt, und dann hörte ich Willy entschlossen die Metalltreppe hinunterkommen. Ein Auge spähte durch den Spion in der Tür, noch mehr Riegel glitten zurück, und dann musterte mich mein Boxtrainer durch seine Metallrandbrille von oben bis unten. Nach eingehender Betrachtung meines blutverschmierten Discokleids, den Spuren, die der Faustschlag auf meiner Stirn hinterlassen hatte, und dem Ring aus lila Blutergüssen rund um meine Kehle fragte er: »Und, wie war’s auf dem Ball?«
    Ich drückte ihm Harry in die Arme, rannte nach oben zum düsteren Studio und stürzte mich auf den nächstbesten Sandsack. Das schwere Ding hing an einer Kette und schwang leise in einem bedrohlichen Kreis hin und her, als ich mit bloßen Fäusten darauf einschlug. Meine Arme schossen nach vorn, während ich den Sandsack umkreiste und mit der ältesten Kombination bedachte, die man im Boxen kennt – linke Gerade, linke Gerade, harte Rechte, linker Haken –, und ich machte weiter, während sich mein Schweiß mit Tränen mischte, bis meine Hände so blutig waren wie mein Kleid. Willy versuchte, mich zu bremsen, aber ich schubste ihn weg und schlug so lange auf das Leder ein, bis ich die Arme nicht mehr heben konnte, und dann brach ich schluchzend auf der Matte zusammen. Willy zählte schweigend bis zehn, und dann sagte er das, was er jedem Boxer sagte, der zu Boden gegangen war.
    »Steh auf, Sara Jane.«
    Langsam gehorchte ich, dann warf ich mich in seine Arme. Willy tätschelte mir den Rücken, bis ich mich ausgeweint hatte, und versicherte mir, ganz gleich, was passiert sei, es würde schon alles wieder in Ordnung kommen.
    Ich trat einen Schritt zurück, wischte mir die Augen und sagte: »Das glaube ich nicht. Dieses