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Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. M. Goeglein
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gleichen Blut. Buddy und du, ihr ebenfalls. Es mag eine Zeit kommen, wo er der Einzige sein könnte, auf den du zählen kannst.«
    »Nein, niemals. Du irrst dich«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Du hast nicht gesehen, wie Onkel Buddy versucht hat, meinen Vater bei Grandpas Beerdigung auszuknocken. Du hast nicht gehört, wie er unserer Familie gedroht hat. Außer dir habe ich niemanden, dem ich trauen kann. Und deswegen frage ich dich ja … was jetzt?«
    Willy sah mich an, die Hände auf dem Tisch gefaltet, als würde er beten. Ein schmaler Rauchfaden stieg zur Decke hinauf, als er sagte: »Das Schlimmste, was ich je zu sehen bekam, war der Leichnam meiner Tochter. Es ist nicht normal, dass dein Kind vor dir stirbt. Natürlich war sie kein Kind mehr. Sie war drei Jahre älter, als du jetzt bist, neunzehn.«
    Ich wusste, dass Willys Tochter schon seit Langem tot war, aber er hatte nie über sie gesprochen, jedenfalls nicht mit mir. Behutsam fragte ich: »Wie ist sie gestorben?«
    »Durch Autos und Alkohol«, sagte er, räusperte sich und rückte seine Brille wieder gerade. »Wenn du die Leiche eines Menschen siehst, den du liebst und der zu früh von dieser Welt gegangen ist, dann … dann stirbt ein Stück von dir mit ihm. Du hast keine Toten im Haus gesehen, Sara Jane, und du lebst. Und deswegen tust du jetzt Folgendes: Du gehst davon aus, dass es keine Leichen gibt. Du gehst davon aus, dass sie noch leben.«
    »Und dann?«
    Er zuckte die Achseln und drückte die Zigarette aus. »Und dann musst du sie finden.«
    »Wie denn?«
    Willy seufzte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Plötzlich erkannte ich, dass er ein alter Mann war. »Morgen, mein Mädchen«, sagte er. »Darüber reden wir morgen.«
    »Glaubst du wirklich, dass sie noch leben?«
    »Ich weiß nicht, was ich denken soll, weil ich müde bin und ganz durcheinander, und dir geht es genauso.«
    »Ich kann nicht schlafen. Unmöglich.«
    »Du musst, und auch wenn du meinst, dass es nicht geht, das klappt schon«, sagte er. »Das Krähennest ist sauber, leer und ruhig. Du hast es ganz für dich.«
    Das Studio war vor hundert Jahren einmal eine Fabrik gewesen. Damals, als die Arbeiter an den Fließbändern schwitzten, saß der Aufseher in einer kleinen Kanzel aus Holz, die von der hohen Decke hing, und überwachte von dort aus den ganzen Betrieb. Diese Vorrichtung war noch immer an Ort und Stelle unter dem Dach, ringsum mit großen Glasscheiben eingefasst. Über die Jahre hatten viele Boxer im Windy City trainiert, die eine Profikarriere einschlagen wollten. Manche hatten es geschafft, manche nicht. Sie alle waren jung und hatten wenig Geld, und Willy, der Mitleid mit diesen Neulingen hatte, stattete die alte Kanzel schließlich mit ein paar alten Feldbetten, einer Stehlampe und einem Fernseher aus. Die Stahltreppe und der Steg, die früher einmal dort hinaufgeführt hatten, waren schon vor langen Jahren als Altmetall verkauft worden, und so wurden die Möbel mit einer Seilwinde an Ort und Stelle gebracht. Ausgewählte Boxer durften während ihrer Trainingszeit dort mietfrei übernachten, solange sie das Krähennest sauber hielten, weder Alkohol noch Drogen konsumierten und jeden Abend den Studioboden wischten. Inzwischen erreichte man diesen hohen Schlafplatz, indem man an einem langen Seil, das ein paar Knoten aufwies, hinaufkletterte; und wenn man erst einmal dort oben war, konnte man jeden Winkel des Studios einsehen, wie ein Seemann vom Ausguck eines Schiffes – daher nannten wir diesen Platz auch das Krähennest. Die Boxer, die zuletzt dort übernachtet hatten, waren unterwegs, um an der Vorausscheidung eines Wettkampfs in Granite City teilzunehmen, und würden erst in einer Woche wiederkommen.
    »Versuch zu schlafen«, sagte Willy. »Morgen früh überlegen wir, was wir als Nächstes tun.«
    »Okay, Willy«, sagte ich, und als ich vom Tisch aufstand, fühlte ich mich plötzlich so zerschlagen und müde, dass ich mir kaum noch zutraute, am Seil bis nach oben in mein Nest zu klettern.
    »Ich werde den Lincoln hinten auf dem Hof parken, wo ihn keiner sieht«, sagte Willy, und ich gab ihm die Schlüssel. Bei dem metallischen Klingeln stellte Harry die Ohren auf und winselte schmerzerfüllt.
    »Ich nehme ihn besser mit hoch«, sagte ich und hob mir den kleinen Hund auf die Schultern, so dass seine Pfoten links und rechts von meinem Hals herabhingen. »Vielleicht braucht er mich.« Willy ging mit mir ins Studio zurück und blieb neben dem Seil

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