Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
zwischen Luxuslaken aus feinster, ägyptischer Baumwolle in einem Bett zu schlüpfen, das groß genug wäre, um Squaredance darauf zu tanzen.
Aber genau so war es bei mir.
Das verdankte ich dem Notizbuch.
Eigentlich glaubte ich erst, dass alles wirklich echt war, als das Sushi auf einem silbernen Servierwagen hereingerollt wurde.
Dem Notizbuch zufolge gehörte das Hotel, in dem ich mich befand – das Commodore direkt am Michigansee –, insgeheim schon seit siebzig Jahren dem Syndikat. Ich hatte es ganz zufällig aus der Liste sicherer Orte ausgewählt, indem ich meine Augen schloss und mit dem Finger irgendwo auf die Seite tippte. Neben dem Hotelnamen standen eine Telefonnummer und ein paar hingekritzelte Anweisungen – anrufen, nach dem Geschäftsführer fragen und sagen: »Al schickt mich.« Anschließend, so hieß es, müsste ich dort nur noch aufkreuzen und würde automatisch wie ein VIP behandelt, ohne dass ich nach meinem Namen oder irgendetwas anderem gefragt werden würde. Als ich am Hotel ankam und dem Portier wie vorgegeben »Al schickt mich« zuraunte, salutierte er und erklärte, mein Zimmer sei vorbereitet und am nächsten Morgen würde der Lincoln wieder abfahrtbereit auf der Auffahrt stehen und auf mich warten. Dann musterte er mich von Kopf bis Fuß und fragte, ob ich sonst noch etwas benötigte. Das verneinte ich zwar, aber ich fragte trotzdem nach seinem Namen, nur für den Fall.
»Al«, sagte er und zwinkerte mir zu. »Wie alle anderen hier.«
Anschließend fuhr ich in einem geräuschlosen Privataufzug nach oben.
Der Schlüssel steckte in der Tür. Das Zimmer war riesig und duftete nach Rosen.
Erst, nachdem ich das dreigängige Menü vom Zimmerservice verschlungen hatte und mein Bauch vor Zufriedenheit schmerzte, nahm ich die extreme Stille und Ruhe dieser Umgebung wahr. Es war ein heftiger Kontrast zu den vorangegangenen drei Tagen. Ich warf den Bademantel auf einen Stuhl und legte mich in meinem seidenen Pyjama aufs Bett, starrte an die Decke und spürte, wie mein geschundener Körper sich allmählich in eine Qualle verwandelte und mit dem wundervollen Bett verschmolz. Mein Verstand, der sich die ganze Zeit über in einem Zustand nervöser Wachsamkeit befunden hatte, schaltete einen Gang herunter, und meine Hand tastete nach der Fernbedienung. Der riesige Flachbildschirm erwachte zum Leben, und ich hörte vertraute Zithermusik. Als ich den Kopf wandte, sah ich in Schwarzweiß Schatten über die Häuserwände des zerbombten Wiens gleiten und musste unwillkürlich lächeln – es war Lous Lieblingsfilm, Der dritte Mann . Es kam mir vor wie ein Omen – ob ein gutes oder böses, das wusste ich nicht, aber es gab mir zumindest das Gefühl, mein kleiner Bruder sei mir nahe. Ich schloss die Augen und nahm die Musik tief in mich auf.
Ding-de-ding de-ding de-ding.
De-ding de-ding.
Der Gedanke an Lou ließ auch meinen lächelnden, schlaksigen Vater vor meinen Augen erscheinen, wie immer mit leichtem Bartschatten und Mehl auf den Schuhen.
Ding-de-ding de-ding de-ding.
De-ding de-ding.
Die Erinnerung an meinen Dad, wie er meine Mom in der Küche umarmt, bis sie ihn irgendwann wegschiebt, wie sie kichert und sich den Rock zurechtzupft, als ich durch die Tür komme, und wie ihr Gesicht sich aufhellt, weil sie sich so freut, mich zu sehen, und wie sie ihre Arme ausstreckt und ich genau dort bin, wo ich sein möchte, in ihrer Umarmung. Ihre Arme schlossen sich um mich, und ich roch ihr Rosenölparfüm und ihr weiches, dunkles Haar. Es war süß und traurig, weil wir uns einerseits so nahe waren und ich andererseits wusste, dass ich schlief und träumte, und dann glitt ich gewichtslos einen kühlen, blauen Wasserfall hinunter, ohne dass es mich auch nur im Geringsten interessierte, ob ich je unten ankam. Das Gefühl zu fallen, das normalerweise so viel Angst auslöst, war jetzt eher eine Erleichterung. Es war so wunderschön, dass ich gar nicht mehr aufwachen wollte, aber das tat ich, denn meine Mutter weckte mich. Ihre zarte Hand fuhr über meine Wange, und ich öffnete die Augen, ohne den Kopf vom Kissen zu heben. Sie saß mir gegenüber auf dem Stuhl, und ich sagte: »Mom, du lebst …«
Sie lächelte. »Ich bin bei deinem Dad und Lou, Sara Jane, und wir brauchen dich.«
»Ich brauche euch auch. Euch alle. Aber ich kann euch nicht finden.«
»Du kannst jetzt nicht aufhören. Du bist in so kurzer Zeit so weit gekommen.«
»Ich bin müde, Mom«, gähnte ich. »Viel zu müde, um
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