Colin Cotterill
gesessen, als der erste Tran wie eine Rakete aus dem Wasser geschossen kam. Das entstel te braune Gesicht hatte den Fischer einen Augenblick lang angestarrt und war dann wieder untergetaucht. Fast wäre ihm vor Schreck das Herz stehen geblieben.
Als Siri dem Bezirksdirektor erklärte, was er vorhatte, wusste er, dass sich dafür kaum Freiwil ige finden lassen würden. Selbst die besten Taucher der Umgebung würden wohl nur äußerst ungern nach einer drei Wochen alten Leiche suchen. In den Dörfern am See war Aberglaube weit verbreitet, und die Entdeckung zweier Leichen hatte den meisten Leuten einen Heidenschreck eingejagt. Aber in einer Fischergemeinde gibt es immer einen alten Hasen, der für ein paar Kip fast al es tut. In diesem Fal e hieß er Dun.
Dun konnte sich noch nicht einmal ein Boot leisten. Normalerweise watete er einfach bis zu den Hüften in den See und warf sein x-fach geflicktes Netz ein paar Dutzend Mal ins Wasser. Er lebte von den reichlich unbedarften Sprotten und dem Wasserungeziefer, das nicht den Grips hatte, ihm aus dem Weg zu gehen.
»Klar, mach ich… für fünfhundert Kip.«
Seit der Abwertung im Juni hatte sich der Kip im Verhältnis zum US-Dol ar bei einem Kurs von 200:1 eingependelt. Es war riskant, eine so große Summe zu verlangen, und er rechnete fest damit, dass die Leute aus der Stadt ihn herunterhandeln würden. Stattdessen gaben sie ihm die Hälfte im Voraus. Es war sein Glückstag.
Der zweite Fischer brachte Dun hinaus zu der Stel e, wo Trans jähes Auftauchen ihn fast zu Tode erschreckt hatte, während Siri, Nguyen Hong und der Bezirksdirektor am Ufer warteten. Dun setzte die Taucherbril e auf, die Siri aus der Stadt mitgebracht hatte, und wälzte sich in vol er Montur über Bord.
Kaum fünf Sekunden später tauchte er auch schon wieder auf und schnappte japsend nach Luft. Der Bezirksleiter meinte, das liege daran, dass er so viel rauche. Während Dun tauchte und japste, tauchte und japste, ließ Siri sich den Tag, an dem sie den Tätowierten gefunden hatten, vom Bezirksdirektor in al en Einzelheiten schildern.
»Wer hat erkannt, dass die Tätowierungen aus Vietnam stammten?«
»Ach, ich hatte mir das gleich gedacht. Ein Armeeoffizier hat meine Vermutung dann bestätigt. Er sagte, er sei drüben in Vietnam stationiert gewesen und hätte die Tätowierungen sofort erkannt.«
»Ist er noch in der Gegend?«
»Nein, er kam nicht von hier. Er hat nur eine Erhebung durchgeführt.«
»Worüber?«
»Den Bootsverkehr von und zu den Rehabilitationsinseln, hat er gesagt.«
Sie konnten die beiden Inseln in der Ferne sehen: Don Thao für die männlichen Junkies und Verbrecher und Don Nang für die Frauen. Siri schauderte bei dem Gedanken, welche Art von Rehabilitation man dort drüben praktizierte.
»Haben Sie seine Order gesehen?«
»Um Himmels wil en, nein, Doktor. Leute in Uniform lassen sich nicht gern von Zivilisten schikanieren, außerdem war er bewaffnet, darum habe ich gar nicht erst gefragt.«
Draußen beim Boot sah der alte Herr Dun langsam selbst wie ein Ertrinkungsopfer aus. Nguyen Hong war besorgt.
»Sol en wir ihn zurückpfeifen? Das scheint mir wenig erfolgversprechend.«
Siri nickte, und sie wol ten den Fischer eben rufen, als Dun plötzlich nicht mehr auftauchte.
»Ach du Scheiße.« Sie beschirmten die Augen vor der pral en Sonne und suchten das Wasser nach einer Spur von Dun ab. Die Oberfläche war spiegelglatt, und den Mann im Boot schien das Grauen, das sich unter seinem Kiel abspielte, nicht weiter zu interessieren.
Die beiden Ärzte wussten, dass einem Taucher im Süßwasser höchstens vier Minuten Zeit blieben. Nguyen Hong hatte bereits ein paar Mal auf die Uhr gesehen. »Drei. Warum kommt ihm der Fischer nicht zu Hilfe?«
Siri fragte den Bezirksdirektor.
»Er sagt, der Fischer sei kein besonders guter Schwimmer. Und beide Männer wol e er nicht verlieren.«
Nach etwas mehr als vier Minuten schoss Dun freudestrahlend und mit hochrotem Gesicht aus dem Wasser. Dramatische Rettung in letzter Sekunde, wie Houdini. Dun hob den Arm und winkte zum Zeichen, dass er etwas in der Hand hielt. Ein Seilende, wie es schien. Als er daran zog, kam erst ein Fuß, dann ein Bein aus dem Wasser. Hok war gefunden.
Um an den Leichnam heranzukommen, bevor die Luft den Verwesungsprozess beschleunigte, verwandelten die beiden Pathologen einen leer stehenden betongrauen Raum hinter dem Damm in einen provisorischen Sektionssaal. Die Frau des Bezirksdirektors brachte
Weitere Kostenlose Bücher