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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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raus.«
    Siri sammelte seine Gedanken. Er drehte sich um und ging zur Tür. Richter Haeng wartete darauf, dass sie ins Schloss fiel, hörte aber nur das Klicken der Klinke. Als er aufblickte und feststel te, dass Siri ihn über die Schulter ansah, traf ihn fast der Schlag.
    »Was bilden Sie sich…?«
    Siri ging zurück zum Schreibtisch, umrundete ihn und setzte sich, nur Zentimeter von Haengs Hemdsärmel entfernt, auf die Kante. Der junge Richter machte ein verwirrtes, ja verdattertes Gesicht. Siri riss ihm den ewig klappernden Bleistift aus der Hand und zeigte damit auf ihn.
    »Jetzt passen Sie mal gut auf, mein kleiner Freund. Ich weiß, dass Sie Ihre Rol e spielen müssen. Ich weiß, dass Sie zuweilen nervös, um nicht zu sagen hilflos sind. Ich verstehe auch, dass Sie sich manchmal überfordert fühlen.
    Trotzdem habe ich keine Lust, mich weiter mit Ihrer Unsicherheit herumzuschlagen.«
    »Was fäl t Ihnen… ?«
    »Nicht. Sagen Sie nichts, was mich veranlassen könnte, meinen Ansichten über Ihre Qualifikation gebührend Ausdruck zu verleihen.« Der Richter begann, sich auf seinem Stuhl zu winden. Mit jedem Wort, das Siri gelassen aussprach, schien Haeng ein wenig jünger, trotziger zu werden.
    »Obwohl ich zufäl ig weiß, dass Sie über familiäre Beziehungen an diesen Posten gekommen sind…«
    »Ich…«
    »… verfügen Sie zweifel os über gewisse Fähigkeiten, sonst hätte man Sie gar nicht erst genommen. Sonst hätten Sie die UdSSR nicht überlebt.«
    »Ich…«
    »Aber ich habe es auch nicht gerade leicht. Ich erledige meine Arbeit widerwil ig und schlecht, weil es mir an den nötigen Gerätschaften, den nötigen Ressourcen und nicht zuletzt der nötigen Erfahrung fehlt. Und Sie, mein Junge, machen mir zusätzlich das Leben schwer.

    Ich bin der amtliche Leichenbeschauer, ob es Ihnen passt oder nicht. Ab sofort werde ich die ›Fäl e‹, die auf meinem Schreibtisch landen, bearbeiten, wie ich es für richtig halte. Ich werde ihnen nachgehen, wenn ich es für notwendig erachte, und Ihnen meine ausführlichen Berichte zum gegebenen Zeitpunkt zukommen lassen. Und wenn sie einmal unterzeichnet sind, werde ich es nicht dulden, dass Sie auch nur ein Jota daran ändern, um Ihre Statistik zu frisieren. Machen Sie um Himmels wil en den Mund zu.«
    Haeng presste die Lippen zusammen. Sie schienen zu beben.
    »Sol ten Sie meine Offenheit als beleidigend empfinden, tut es mir leid. Ich entschuldige mich bei Ihrer Mutter, die Sie wahrscheinlich trotz al em liebt. Ich entschuldige mich bei Ihrer Mutter dafür, dass ich Sie ermahnen muss, älteren Menschen mit Respekt zu begegnen.
    Fal s Sie jetzt auf Rache sinnen, möchte ich Sie daran erinnern, das ich zweiundsiebzig Jahre alt bin. Zweiundzwanzig Jahre jenseits der durchschnittlichen Lebenserwartung in diesem Land. Mein Haltbarkeitsdatum ist überschritten. Ich bin ein Auslaufmodel . Im Laufe meines Lebens habe ich jede nur erdenkliche Strafe erfahren. Sie müssten sich also schon sehr anstrengen, um mir auch nur einen Hauch von Angst einzujagen.
    Wenn Sie mich entlassen würden, wäre ich entzückt, um nicht zu sagen hingerissen. Ein Umerziehungslager im Norden wäre für mich das reinste Paradies. Ich hätte die Koffer gepackt, bevor Sie auch nur Ihren Bleistift zücken könnten. Und selbst wenn ich vor einem Erschießungskommando landen würde, wäre das kein al zu großer Verlust. Das dürfte Sie in ein ziemliches Dilemma stürzen, denn ich habe nicht die Absicht, mir Ihre Unverschämtheiten länger bieten zu lassen.
    Ich wil Ihnen verraten, wie es jetzt weitergeht. Morgen fahren der vietnamesische Pathologe und ich zum Nam-Ngum-Stausee. Dort werden wir zwei, viel eicht drei Tage bleiben. Danach komme ich hierher zurück, führe verschiedene Tests durch und berate mich mit Dr. Nguyen Hong. Und dann, wenn meine Arbeit in Vientiane getan ist, könnte ich mich unter Umständen bereit erklären, nach Khammouan zu reisen.
    Bis dahin haben Sie mir die erforderlichen Reiseunterlagen und einen Platz in einer Militärmaschine besorgt. Für eine Fahrt über Straßen vol er Schlaglöcher bin ich nämlich zu alt. Außerdem brauche ich ein kleines Tagegeld, für al e Fäl e. Sie werden den Militärs einschärfen, dass es nur einen Leichenbeschauer gibt, der noch dazu in Arbeit schier erstickt. Soviel ich weiß, ist das Justizministerium dem Militär in Friedenszeiten nicht unterstel t. Wir tun der Armee also einen Gefal en.
    »Ich gehe jetzt.« Er stand auf und gab Haeng

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