COLLECTION BACCARA Band 0259
reinste Magier, was die Kunst der Verführung betraf. Dennoch, sie musste stark sein. Zumindest so lange, bis sie wusste, ob sie schwanger war oder nicht.
Murat würde heute Gericht halten, und Daphne hatte darum gebeten, dabei zusehen zu dürfen. Zu diesem Zweck hatte man für sie spezielle Kleidung zurechtgelegt. Neben der aufwendig bestickten Abaya prangte auf einem Kissen eine kleine goldene Krone.
Sie starrte wie gebannt auf diese Krone. Natürlich wusste sie, dass Murat Kronprinz und zukünftiger König dieses Landes war. Aber die Krone führte ihr sehr real vor Augen, dass damit die Last einer tausendjährigen Geschichte verbunden war.
Nachdem sie sich angekleidet und die Krone auf dem hauchzarten Schleier befestigt hatte, den sie heute über ihr Haar gebreitet trug, verließ sie den Privatbereich des Zeltes. Eine Wache erwartete sie bereits.
„Prinzessin Daphne“, sagte der Mann. „Folgen Sie mir bitte.“
Er führte sie hinaus ins Freie. Im Lager waren kaum Menschen unterwegs. Dann entdeckte Daphne das riesige Zeltdach, unter dem sich die meisten bereits versammelt hatten. Sie wurde durch einen Hintereingang hineingeführt und fand sich hinter einem Podium mit mehreren reich verzierten Stühlen wieder. Murat kam auf sie zu und nahm ihre Hand.
„Wir wollen gleich beginnen“, sagte er lächelnd. Mit einem glutvollen Blick erinnerte er sie an die gemeinsame Nacht und alles, was zwischen ihnen geschehen war.
Sie wollte ihm sagen, dass sich so eine Nacht nicht wiederholen würde. Nicht, bevor einige entscheidende Dinge zwischen ihnen geklärt waren. Doch dies war nicht der geeignete Moment.
Daphne folgte ihm auf das Podium. Für sie war der Stuhl zu seiner Linken vorgesehen. Dieser Stuhl war ein kleines Stückchen nach hinten versetzt. Zu seiner Rechten saß der Stammesrat.
Vor ihnen hatten sich Hunderte von Menschen versammelt. Einige drängten sich rechts und links am Rand des Podiums. In der Mitte ragte ein alter Mann aus der Menge mit einer Pergamentrolle in der Hand.
Er begann in einer Sprache vorzulesen, die sie nicht kannte. Von ihrem ersten Aufenthalt in Bahania wusste sie, dass er alle, die Gerechtigkeit suchten, an diesem Ort zusammenrief. Über Verbrechen wurde am Vormittag gerichtet. Der Nachmittag war für Petitionen reserviert.
Als Erstes ging es um einen Mann, der Ziegen gestohlen hatte. Das Urteil lautete auf sechs Monate Gefängnis und Brandmarkung.
Da Daphne ihre entsetzte Reaktion nicht verbergen konnte, erklärte Murat ihr das Urteil. „Wir handeln hier nach sehr alten Sitten“, sagte er leise. „Ein Mann bekommt drei Chancen. Das Brandmal zeigt dem Rat an, wie oft ein Mann schon verurteilt wurde.“
„Aber ist ein Brandmal nicht übertrieben?“
„Er hat gestohlen. Diese Menschen hier leben in der Wüste. Das ist eine andere Welt als die, aus der du stammst. Wenn dir jemand in der Großstadt dein Auto stiehlt, dann nimmst du den Bus oder ein Taxi. Wenn dir jemand in der Wüste deine Ziegen oder Kamele raubt, kann das für dich und deine Familie den Tod bedeuten. Deswegen ist Diebstahl bei uns ein schweres Verbrechen.“
Sie nickte. Je rauer das Leben, desto härter die Strafen. Natürlich leuchtete ihr dieses Konzept ein, aber anfreunden konnte sie sich damit nicht.
Nachdem einige weitere kleine Fälle verhandelt waren, wurde ein Mann Ende zwanzig direkt vor das Podium geführt. Die Wärter hielten seinen linken Arm hoch und entblößten für alle deutlich sichtbar drei Brandmale. Daphne stockte der Atem.
„Er ist angeklagt, Kamele gestohlen zu haben“, teilte ein Mitglied des Rates Murat mit.
„Gibt es Zeugen?“
Fünf Personen traten hinter den Beschuldigten. Zwei waren Komplizen, die anderen drei, ein Vater mit seinen zwei Söhnen, waren die Geschädigten. Der Vater berichtete. Die Diebe hatten eines Nachts ihre gesamte Herde – insgesamt zwanzig Tiere – gestohlen. Vater und Söhne verfolgten die Diebe. Sie fanden ein totes Kamel. Nur weil es lahmte, hatten die Diebe ihm die Kehle durchgeschnitten.
Ein entsetztes Raunen ging durch die Menge, als er von dieser Gräueltat erzählte.
Die Komplizen hatten die Tat zugegeben und waren bereits verurteilt. Beide trugen ein frisches Brandmal auf dem Arm. Es war ihr einziges. Nur der Anführer hatte drei.
Murat hörte sich die Aussagen aller Beteiligten an und wandte sich dann dem Rat zu.
„Verbannung“, lautete ihr einstimmiges Urteil.
Der Verurteilte senkte den Kopf. „Ich habe zwei Kinder und keine
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