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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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tippte der Abt auf das Display von Bühlers Smartphone, wo wieder die topografische Karte der Umgebung angezeigt wurde. »Wissen Sie, warum keiner dieser Leute Sie zu der Stelle führen will?«
    »Sie werden es mir gleich sagen.«
    »Da oben liegt das Kloster Namgung, das schon vor vielen Jahren aufgegeben wurde. Ich selbst war damals noch ein Kind. Die Leute hier glauben, dass dort oben böse Geister hausen. Der mächtige Dämonenkönig dMu mit seinem stierköpfigen Vogel Khyung und den bTsan -Dämonen.«
    »Und was denken Sie?«
    »Böse Geister gibt es überall. Aber vor allem gehört Namgung inzwischen einer amerikanischen Minengesellschaft. Das bedeutet, die ganze Umgebung rund um Namgung ist Sperrgebiet. Niemand geht gerne dort hinauf. Und jetzt tauchen plötzlich Sie hier auf, mitten in der Monsunzeit, und wollen ausgerechnet dorthin. Warum, Mr. Bühler?«
    Bühler überlegte kurz. Ein Blick in die Augen des Mönches ließ es ihm fürs Erste klüger erscheinen, nicht zu lügen.
    »Ein Freund braucht dort oben meine Hilfe.«
    »Und dazu brauchen Sie eine Waffe?«
    »Die Leute, die ihn gefangen halten, sind gefährlich. Schlimmer noch als böse Geister.«
    Ba Sangye Dorjes Blick wurde verschlossen wie ein Haus vor dem Sturm. Er trank seinen Tee aus und erhob sich mit einer Verbeugung.
    »Ich glaube, Ihr Weg ist noch viel länger, als Sie denken, Mr. Bühler.«
    Er wandte sich ab. Die jungen Mönche, die an der Türschwelle auf ihn warteten, erhoben sich.
    »Warten Sie!« Einem Impuls folgend, griff Bühler in seinen Rucksack und zog eine von Leonies Zeichnungen mit dem Löwenmann heraus. »Das hat meine kleine Schwester Leonie gezeichnet. Sie träumt jede Nacht von dem Löwenmann. Ich will, dass sie wieder in Frieden schlafen kann.«
    Der Abt betrachtete die Zeichnung lange und eingehend. Bühler sah, wie sich sein Gesicht wieder öffnete. Dann legte er die Zeichnung behutsam auf den Tisch zurück, als sei sie sehr zerbrechlich, und sah Bühler wieder an.
    »Kommen Sie, Mr. Bühler. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
    Nicht weit von hier bedeutete eine gute Stunde Fußmarsch steil bergauf. Das kleine Kloster Tengboche, dem Ba Sangye Dorje vorstand, lag in den Wolken, am Ende eines engen Taleinschnitts. Bühler schätzte, dass man von dort aus bei klarem Wetter einen guten Blick auf das verlassene Kloster Namgung haben musste. Während der Wanderung wechselte der Abt kein Wort mehr mit ihm. Bühler war ohnehin nicht nach Plaudern zumute. Er fragte sich nur, wie man dieses Leben als Mönch aushalten konnte. Mit ihrem ärmlichen Schuhwerk, teilweise sogar in Schlappen, gingen sie jeden Tag bei Wind und Wetter für Almosen ins Dorf und wieder zum Kloster zurück.
    Unterwegs passierten sie kleine Steinpyramiden mit eingeritzten Gebeten und Gebetsfahnen. Das erinnerte Bühler an die Steinmännchen in den Alpen. Irgendwie fühlte er sich ein wenig Zuhause.
    Tengboche bestand aus einigen einfachen kleinen Gebäuden mit roten Ziegeldächern, die sich um ein dreistöckiges Hauptgebäude mit Pagodendach gruppierten. Der untere Teil des weiß getünchten Haupthauses war aus Natursteinen gebaut. Bis auf die kreuz und quer gespannten Leinen mit Gebetsfahnen und die bunte buddhistische Fahne über dem Haupteingang erinnerte Bühler der ganze Komplex an eine Berghütte in den Alpen.
    Der Abt wies ihn an, den Rucksack mit der Waffe vor dem Haus abzustellen. Dann führte er ihn durch den Hauptsaal mit dem bunt geschmückten Altar und der Buddhastatue. Etwa zwanzig Novizen hockten davor auf dem Boden und rezitierten Buddhatexte. Bühler folgte dem Abt hinauf in einen Schlafsaal. Zwei Mönche brannten Räucherwerk vor einem kleinen Altar ab und beteten leise murmelnd mit gefalteten Händen. Am anderen Ende des Raumes lagen zwei Menschen regungslos nebeneinander auf Schlafmatten. Sie schienen nicht zu atmen, wirkten wie tot in ihrer Starre, waren jedoch ordentlich und warm zugedeckt wie Kranke. Als Bühler näher trat, sah er, dass der eine ein junger Mönch war. Er hatte die Augen geschlossen, aber hinter seinen Lidern tobte ein Sturm, seine Augen zuckten hin und her, als rase das Leben nur so an ihm vorbei. Ansonsten schien er nichts um sich herum wahrzunehmen und atmete röchelnd durch den Mund. Neben ihm lag eine Frau in der gleichen katatonischen Haltung. Bühler erkannte sie sofort wieder. Marina Bihari. Die Roma-Freundin von Nikolas.

LII
    12. Juli 2011, Annapurnamassiv, Himalaja
    D ie Zeit ist ein Meer aus glitzernder

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