Collector’s Pack
’No, der Anführer der Jäger, sich aufrichtete, seine Nase in den Wind reckte und prüfte, ob das Mammut sie gewittert hatte. Er gab den anderen ein Zeichen, dann zogen sie den Kreis enger um das verletzte Jungtier, das den Anschluss an seine Herde verloren hatte. Dennoch machte sich ’Ma keine Illusionen. Ein verletztes Jungtier war keine leichte Beute. Keine Beute war leichte Beute.
In jener fernen Zeit, bevor sie den Stein gefunden hatte, hatte es viel mehr Wild gegeben. ’Ma erinnerte sich, dass die Savanne schwarz gewesen war von Mammutherden, so weit man sehen konnte. Sogar im Land des Winters, in dem sie vor so unzähligen Sommern geboren worden war. Doch dann waren die langen Jäger gekommen, viele von ihnen. Sie rochen völlig anders, und sie waren größer. Auch ihre Clans waren viel größer, denn sie hatten viel mehr Kinder. Die langen Jäger waren sehr geschickt, obwohl sie so zerbrechlich wirkten. Sie hatten hellere Haut, die sie mit weißer Erde bemalten. Wo sie jagten, blieb für ’Ma und ihren Clan kaum noch Wild übrig. Denn die langen Jäger besaßen einen großen Zauber.
’Ma hatte als junges Mädchen einmal einen langen Jäger beobachtet, voller Angst und Staunen. Der Mann mit der rot bemalten Haut hatte eine Kette aus Wolfszähnen getragen. Etwas Schöneres hatte ’Ma bis dahin nicht gesehen. Der Mann hatte sich Erde in den Mund gesteckt, sie durchgekaut und dann rhythmisch auf einen Fels gespuckt. Atemlos, zitternd vor Angst und Staunen, hatte ’Ma aus ihrem Versteck zugesehen, wie aus der gespuckten Erde und Strichen mit verkohlten Hölzern Tiere auf dem Fels erschienen, so leuchtend und kraftvoll, als würden sie jeden Moment losstürmen. Mammuts, Bären, Steinböcke, Höhlenlöwen, Pferde, Büffel, Esel, sogar ein zarter Kranich. Der lange rote Jäger hatte alles Wild des Landes mit einem mächtigen Zauber für alle Winter an den Fels gebannt. ’Ma hatte geweint beim Anblick dieser Schönheit und Macht. Da hatte der rote Jäger sie entdeckt und eingefangen, als sie weglaufen wollte. Aber anstatt sie zu töten, hatte er ihr etwas geschenkt. Einen hohlen Knochen mit Löchern aus dem Lauf eines Rentiers. Er hatte den Knochen in seinen Mund gesteckt und Töne damit gemacht. Wunderschöne Töne. ’Ma hatte ihn nur angestarrt, unfähig, sich zu rühren. Der Zauber des roten Jägers war stark gewesen. Nach einer Weile hatte er die Flöte weggelegt und ’Ma gepackt. Sie hatte sich noch nicht einmal gewehrt, als der lange Jäger sie auf den Bauch drehte und keuchend in sie eindrang. Sie hatte sich auch nicht gewehrt, als der rote Mann sie in sein Lager mitgenommen und bei sich behalten hatte. Im Sommer darauf hatte sie ihre erste Tochter geboren, die ausgesehen hatte wie eine lange Jägerin. Kurz darauf war ’Ma geflohen.
Sie waren mächtig, die langen Jäger, daher vermieden ’Ma und ihre Clans es nach Möglichkeit, ihnen zu begegnen. Wenn es doch einmal geschah, dann waren es meist schweigende Begegnungen, nur unterbrochen von Drohlauten und den seltsamen Rufen der langen Jäger. Hin und wieder gab es Streit um Wild, das in einem Sumpf verendet war und auf das beide Gruppen Anspruch erhoben. Hin und wieder gab es dabei auch Tote, aber gleichzeitig lebten beiden Gruppen auch über viele Sommer hindurch in nächster Nähe zusammen. Mit dem einzigen Unterschied, dass die langen Jäger immer mehr wurden und sie immer weniger. ’Ma hatte oft versucht, den Zauber des roten Jägers nachzumachen, aber nie war es ihr gelungen. Und die Töne, die sie dem Knochen mit den Löchern entlockte, waren nie annähernd so schön gewesen wie seine. Immerhin hatte sie in jenen wenigen Monden bei den langen Jägern gelernt, ihre Stimmen zu verstehen, auch wenn es ihr selbst nie gelang, sie zu sprechen. Es gelang ihr einfach nicht.
Ein heiserer Schrei von ’No riss ’Ma aus ihren Gedanken. Sie sah, wie die Jäger plötzlich aufsprangen und das Mammut angriffen. Aus nächster Nähe rammte ’No seinen Speer in die Flanke des Tieres, legte sein ganzes Gewicht in den Stoß. ’Ma bewunderte ihn für seinen Mut, sich dem Tier so weit zu nähern. Nicht umsonst war ’No der beste Jäger. Nicht umsonst war er der Vater ihres Kindes. ’Ma umschloss den Stein in ihrer Hand fester und verfolgte weiter konzentriert die Jagd. Sie sah, wie ’Nos scharfe Steinspitze fast mühelos durch die dicke Haut des Tieres drang. Sie sah die Fontäne aus Blut, die aus der Wunde spritzte, und wusste, dass ’No die richtige
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