Collector’s Pack
warf einen Blick auf das Amulett und hielt ihr den Dolch an den Hals. Seine Hand zitterte. Die Klinge ritzte ihre Haut.
»Und jetzt stirb.«
Marina spürte einen feinen Schmerz, als die zitternde Klinge ihre Haut ritzte.
»Warte noch, Vater«, sagte sie. »Ich will dir noch etwas schenken.«
Der massige Mann wirkte unsicher, wie zerrissen zwischen unmenschlichen Kräften. Welches Wesen auch immer aus dem Scheich sprach, es war geschwächt und beherrschte seinen Wirt nicht mehr vollständig.
»Was?«, presste Al Husseini hervor.
»Gnade«, flüsterte Marina. Sie schob seine Hand mit dem Dolch sanft beiseite, beugte sich ein wenig vor, öffnete ihre Lippen und küsste den Scheich. Er zuckte nur kurz, wich aber nicht zurück und erwiderte ihren Kuss wie ein Ertrinkender. Der Arm mit dem Dolch sank herab.
»Atme. Finde. Lebe«, flüsterte Marina, schlang ihre Arme um seinen Hals, presste ihre Lippen noch fester auf die seinen und atmete ein. Und wieder aus. Als sie spürte, dass der Scheich sie von sich schieben wollte, hielt sie ihn fest, atmete weiter seinen Atem und schenkte ihm ihren dafür zurück. Ein zäher Dunst löste sich aus dem Inneren des Scheichs, wirbelte auf und schoss plötzlich aus seinem Mund. Und Marina atmete es ein, ganz und gar.
Der Großmufti zitterte am ganzen Körper, als Marina ihre Arme von seinem Hals löste. Keuchend stützte er seine Hände auf die Knie wie nach einem anstrengenden Lauf, und starrte Marina an.
»Warum hast du das getan, Frau?«, ächzte er. »Du hättest den Tod wählen sollen.«
Marina schüttelte sanft den Kopf und berührte ihn an der Wange. »Geh«, sagte sie. »Du hast noch eine Verabredung mit Chaim Kaplan. Es ist noch nicht vorbei.«
»Und du?«
»Geh!«, sagte sie bestimmt.
Al Husseini sah sie fast wehmütig an.
»Allah möge dich schützen.« Dann reichte er ihr das Amulett zurück und wandte sich schwerfällig ab, als koste ihn jede Bewegung unendlich viel Kraft. Marina wartete, bis er die Treppe erreicht hatte, die ihn zurück ins Leben führen würde. Dann zog sie sich aus, setzte sie sich auf den Rand der Öffnung im Boden und streckte ihre Füße hinein. Das kalte Wasser des »Seelenbrunnens« umstrudelte ihre Beine, aber Marina spürte keinen Grund. Entschlossen ließ sie sich hinabgleiten, hob die Arme, damit sie durch das Loch passte, hielt den Atem an und tauchte in den »Seelenbrunnen« ein.
Dunkelheit umfing sie nun, vollkommenes Dunkel. Marina spürte einen Sog an ihren Beinen, der sie tiefer und tiefer hinabzog in den Fluss, der nun zu einem Ozean wurde. Der Druck auf ihren Lungen nahm zu und quetschte sie zusammen. Marina wollte atmen, nur noch atmen, aber sie wusste, dass sie noch warten musste. Und sie sank immer tiefer, spürte das Brennen in ihren Muskeln. Jede Faser ihres Körpers schrie nach Luft.
Bis sie schließlich das Licht sah.
Es kam aus der Tiefe, ein kleiner Punkt zunächst nur, der aber rasch größer und heller wurde und von unten mit großer Gewalt auf sie zuschoss. Ehe Marina noch etwas anderes denken konnte, hüllte das Licht sie ganz und gar ein wie eine schützende Blase, und der Druck auf ihren Lungen ließ schlagartig nach.
Jetzt!
Stöhnend atmete Marina aus. Sie stand in einem großen kreisrunden Raum, der von einem hellen blauen Licht erfüllt war, und merkte, dass sie beobachtet wurde. Eine hochgewachsene Gestalt, die sie ab Brusthöhe überragte, stand schweigend vor ihr. Marina empfand keine Angst vor diesem Wesen, dessen Kopf mehr Ähnlichkeit mit einer Art Reptil als mit einem Löwen hatte. Dennoch wirkte das Wesen menschlich. Bis auf die Größe und die Haut, die aus einer Art durchscheinendem, feinporigem Gewebe zu bestehen schien, das mit Linien und Mustern bedeckt war, ähnlich wie Nikolas’ Tätowierung. Unter diesem Gewebe konnte Marina ein pulsierendes Geflecht erkennen. Das Wesen bewegte sich völlig lautlos, schien vor Marina auf und ab zu wogen wie ein See, der nach dem Sturm zur Ruhe kommt.
»Wo bin ich?« Marina hörte sich kaum selbst, ihre Stimme vertrocknete sofort wie in sehr dünner Luft. Das Wesen antwortete nicht, stand nur vor ihr, leise wogend wie Seetang.
»Bist du ein Engel?«
Keine Antwort.
»Ist Nikolas hier?«
Das Wesen sah sie nur an mit seinen goldenen Augen, und Marina verstand, dass sie gerade geprüft wurde. Sie wunderte sich nur, dass Al Husseinis Dämon immer noch schwieg, als verberge er sich in ihrem Schatten. Marina hielt das Amulett in beiden Händen wie einen
Weitere Kostenlose Bücher