Collector’s Pack
welcher Religion Sie angehören? Ich frage, weil im Augenblick nur Muslime Zugang zum Tempelberg haben.«
»Machen Sie sich darum keine Sorgen«, sagte Marina. »Ich brauche nur angemessene Kleidung.«
Eine halbe Stunde später durchquerte Marina in einem knöchellangen dunklen Gewand und einem Kopftuch die Gassen der Jerusalemer Altstadt. Das Amulett der schwarzen Madonna fest in der rechten Hand, folgte sie Asaaf, der eilig einige Meter vorausging und misstrauische Blicke der arabischen Ladenbesitzer auf sich zog. Marina entdeckte an allen Hausdächern der Altstadt Überwachungskameras. In den Gassen drängten und rempelten sich einheimische Palästinenser, orthodoxe Juden in Kaftanen, Touristen und israelische Soldaten aneinander vorbei. Jeder schien in Eile, wie getrieben von seinem jeweiligen Gott oder seinem Schicksal. Kurz vor den Treppen, die hinauf zum westlichen Zugang des Tempelbergs führten, bog Asaaf ab, ohne ihr noch einen Blick zuzuwerfen, und verschwand in der Menge. Marina stieg die Treppen bis zu dem kleinen Steintor hinauf, bis sie vor zwei israelischen Soldaten mit schusssicheren Westen und Sturmgewehren und einem arabischen Angestellten des Waqf stand, der den Zugang kontrollierte. Marina hoffte, dass sie mit ihrem Romagesicht als Araberin durchgehen würde. Der kleine dicke Mann mit den harten Augen hielt sie jedoch an.
»Wie lautet die Al-Fātiha , Frau?«, fragte er sie auf Arabisch. Marina senkte den Blick und rezitierte ohne zu Zögern die sieben Zeilen der Eröffnungssure des Koran, die Nikolas sie gelehrt hatte. Sie hörte sogar noch seine Stimme, als sie die Worte sprach.
»Bismillāhi ‚r Rahmāni ‚r Rahīm
Al hamdulilāhi rabil allemin
Ar Rahmāni ‚r Rahīm
Mālik yawmid dīn
Iyyāka na budu wa iyyāka nastahīn
Ihdinā sirāta ‚l Mustaqīm
Sirāta alladhīna an Amta alayhim ghayri Almaghdūbi Alayhim walā Alddāllīn.«
Im Namen Gottes, des Gnädigen und Barmherzigen.
Lob sei Gott, dem Herrn der Menschen in aller Welt,
dem Barmherzigen und Gnädigen,
der am Tag des Gerichts herrscht.
Dir dienen wir und dich bitten wir um Hilfe.
Führe uns den geraden Weg, den Weg derer, denen du gnädig bist,
die nicht dem Zorn anheimfallen und nicht irregehen.
Sie durfte passieren und überquerte den weitläufigen Platz auf dem Tempelberg rasch und ohne Blick für die Al-Aqsa-Moschee rechts von ihr oder die Gruppen von Gläubigen, die sich im Schatten der wenigen Bäume versammelten, um einem Imam zu lauschen. Ihr Ziel war der prächtige, blau gekachelte Felsendom mit der goldenen Kuppel. Der achteckige Bau war keine Moschee, sondern ein muslimisches Heiligtum wie die Kaaba in Mekka. Im Gegensatz zur Al-Aqsa-Moschee hatte er unzählige Erdbeben unbeschadet überstanden, da er direkt auf dem Felsenrücken und nicht auf dem von Herodes angeschütteten Material ringsum erbaut worden war.
Nur wenige Pilger schlenderten andächtig durch den achteckigen Säulengang, der um die Felsenzunge in der Mitte herumführte. Niemand hielt sie auf, als sie an das kleine Eisentor trat. Das Tor war nicht verschlossen, und ohne zu zögern stieg Marina die vierzehn Stufen hinab.
Stille umfing sie, als sie die Grotte betrat, und schnitt sie von der Welt darüber ab. Von ihrem Leben und allem was sie je gewesen war. Aber das wusste Marina längst, seitdem sie im Kloster Tengboche in einer völlig veränderten Welt erwacht war. Diese neue Welt sah zwar identisch aus, roch und schmeckte genauso wie ihre alte Welt, aber Marina wusste es besser. Sie wusste, dass sie nicht zwei Tage, sondern Jahrzehnte im Koma gelegen hatte.
Die Höhle war kühl und geräumig. Schritt für Schritt trat Marina tiefer in das dämmerige Dunkel hinein, folgte dem Geräusch fließenden Wassers am Ende der Grotte. Im letzten Licht, das vom Eingang hinabsickerte, sah sie die Zeichnung des Löwenmannes an der Wand. Wie eine Mahnung, dass es noch nicht vorbei war.
Scheich Al Husseini erwartete sie am »Seelenbrunnen«, einer Öffnung im Fußboden, unter der ein kleiner Fluss plätscherte. Die Öffnung war gerade groß genug, dass eine schlanke Frau sich hindurchzwängen konnte.
»Hoathahe Saitan!«, begrüßte sie der Scheich und zog einen verzierten Krummdolch. Marina erkannte das doppelte Kreissymbol auf der Klinge. Das Zeichen des Lichts.
»Hast du es dabei, Tochter?«
Marina nickte und reichte ihm das Amulett mit dem doppelten Oktagon. Al Husseini riss es ihr aus der Hand. Trotz der Kühle hier unten schwitzte er. Er
Weitere Kostenlose Bücher