Collector’s Pack
Rosenkranz, und wusste plötzlich, was sie tun musste. Sie schloss die Augen und betete die Worte, die sie geträumt hatte. Sie wusste noch nicht einmal, woher sie dieses Gebet kannte, aber die Worte standen plötzlich so klar vor ihr, als habe sie sie bereits seit Ewigkeiten gesprochen, immer wieder.
Denn ich bin die Erste und der Letzte.
Ich bin die Hure und die Jungfrau.
Ich bin die Mutter und die Tochter.
Ich bin der Sohn und der Vater.
Denn ich bin die Erste und der Letzte.
Meine Frucht wird nicht welken.
Denn ich bin das Wort aus der Tiefe.
Ich bin das Licht der Achtheit und der Neunheit.
Denn ich bin die Erste und der Letzte.
Ich bin herausgerissen aus meinem Geschlecht.
Das Licht riss mich fort zur leuchtenden Wolke.
Zum Körper der Finsternis.
Denn ich bin die Erste und der Letzte.
Ich warf ab die Last der Wolke.
Denn ER war schlecht, da ER nicht rein war.
Denn Böses kann keine gute Frucht hervorbringen.
Denn ich bin die Erste und der Letzte.
Ich bin die Stimme der Liebe.
Ich bin aufrechter Verstand, unberührbares Wort.
Ich bin ‘Ma.
Mit jeder Zeile ließ sie eine Perle des Amuletts durch ihre Finger gleiten, während das helle Licht um sie herum langsam zurückwich. Marina spürte Wind im Gesicht. Sand unter ihren Füßen. Als sie das Gebet gesprochen hatte und die Augen wieder öffnete, stand sie auf einer weiten sandigen Ebene, umgeben von Zelten. Tausenden von Zelten, soweit sie erkennen konnte. Die Sonne ging gerade auf und warf einen flammenden Schein auf einen Bergrücken, in dessen Schatten sich diese gewaltige Zeltstadt duckte. Direkt vor ihr lag ein Zelt, das sich von den anderen in nichts unterschied. Die Plane knatterte leise im morgendlichen Wind. Neugierig, was sich dahinter verbergen mochte, schob Marina die Plane beiseite und trat ein. Eine Frau und ein Mann schliefen nackt und eng umschlungen auf einem einfachen Lager aus Schafsfellen. Ein schönes Paar, jung und königlich. Marina erkannte die Frau sofort von der Büste wieder, die sie einmal im Ägyptischen Museum in Berlin gesehen hatte. Die Ähnlichkeit war wirklich erstaunlich. Marina wollte sich eilig wieder zurückziehen – als sie am Fußende des Lagers eine kleine hölzerne Truhe entdeckte. Marina zögerte kurz. Dann nahm sie die Truhe an sich. Sie war unerwartet leicht. An ihrer Stelle ließ Marina das Amulett mit dem Octagon zurück, genau so, wie Nikolas es ihr gesagt hatte.
LXVI
14. Juli 2011, Oak Island, Kanada
D as Licht blieb unten zurück und erlosch langsam, die Welt nahm wieder Konturen an, die Zeit machte einen Ruck und lief träge weiter. Maria spürte, wie sie nach oben gezogen wurde. Die lehmigen Wände der Grube glitten an ihr vorbei wie letzte Schatten eines Traums, an den man sich verzweifelt erinnern möchte, und doch nicht kann. Als sie den Kopf reckte, konnte sie über sich wieder die Öffnung der Grube erkennen, und irgendwo darüber dünne Wolkenschlieren an einem klaren Himmel wie eine eilig hingetuschte Warnung in einer unbekannten Schrift.
Als sie aus der Grube zurück ans Tageslicht gezogen wurde, sah sie ihren Vater neben Cresswell stehen, der immer noch die Fernbedienung in der Hand hielt. Ihren Vater, den sie liebte, obwohl sie ihn als Kind kaum gesehen hatte, und der ihr in den vergangenen Wochen immer fremder geworden war. Aber er war nicht allein. Der Papst und Nakashima standen bei ihm und sahen zu, wie sie hilflos in ihrem Gurtzeug unter der Winde baumelte. Und hinter ihnen stand Edward Kelly.
»Ihre Hand, Schwester!«, sagte Cresswell. Er sprach sie nicht mehr mit »Meister« an. Er wusste also Bescheid. Sie alle wussten Bescheid, und Maria begriff nun, warum sich Seth die ganze Zeit über in ihr nicht gerührt hatte. Er hatte sie vorgeschickt. Er hatte gewusst, dass SIE es ihm niemals geben würde. Ein Gedanke ging ihr durch den Kopf, als Cresswell mit seinen Handstümpfen nach ihr griff und sie zurück auf die Erde zog: Alles umsonst.
Niemand sprach. Die Männer starrten nur auf das, was sie fest in beiden Händen hielt.
»Hallo, Papa«, brach Maria das Schweigen, als sie vor ihrem Vater stand. Und zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie, dass er weinte.
Alles umsonst.
»Maria.« Er trat auf sie zu und umarmte sie, drückte sie an sich mit seinen großen Händen, als ob er sie nie wieder loslassen wollte. Bis sich der Papst neben ihm räusperte.
»Dafür ist später noch Zeit.« Er wandte sich an Maria. »Eigentlich hatten wir ausgemacht, dass
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