Collector’s Pack
Kommandant der Schweizergarde gelernt, dass es nichts brachte, sich zu wundern. Wenn die Lage sich überraschend veränderte, musste man handeln. Schnell und richtig handeln, selbst wenn die neue Lage sich noch so absurd und unerklärlich ausnahm. Zum Wundern blieb später noch genug Zeit. Dennoch wunderte sich Urs Bühler immerhin ein bisschen, dass sich Nikolas kaum wehrte, als er ihn brutal am Nacken packte und aus dem verwüsteten Lokal stieß. Die Passanten, die unter Schock auf der Straße standen, wichen aus, riefen ihnen etwas nach. Niemand jedoch traute sich, sie aufzuhalten. Aus der Ferne hörte Bühler bereits die Sirenen der Carabinieri und der Rettungswagen.
Bühler hielt Nikolas fest im Griff und stürmte mit ihm um die nächste Straßenecke in die Viale Beethoven, dann rechts in die Viale della Fisica, wo sein Mietwagen parkte. Rüde stieß er den wehrlosen Nikolas auf den Fahrersitz, quetschte sich selbst auf den Beifahrersitz des kleinen Fiat, rammte den Zündschlüssel ins Schloss und hielt Nikolas die Waffe an die Schläfe.
»Fahren Sie!«, herrschte er ihn an. »Na los! Und lassen Sie beide Hände am Steuer.«
Nikolas gehorchte ohne Widerspruch, fuhr den Wagen umsichtig aus der Parklücke und fädelte sich in den Verkehr ein. Er wirkte angespannt, aber ruhig und bei Sinnen.
»Noch siebenundzwanzig Minuten bis zum Abflug«, sagte er. »Zeigen Sie mir, wie ich am schnellsten zum Flughafen komme.«
»Vergessen Sie den Flughafen, Nikolas. Fahren Sie einfach. Eine falsche Bewegung und ich knall Sie ab.«
Bühler machte sich keine Illusionen, dass diese Drohung bei jemandem wie Nikolas greifen würde. Es war mehr eine sachliche Feststellung. Bühler sah sich kurz um, ob ihnen jemand folgte, dann wandte er sich wieder Nikolas zu.
»Wo ist Peter Adam?«
»In Köln.«
»Haben Sie nicht gesagt, dass sein Flug gleich geht?«
»Er ist jetzt in Köln. Ich erkläre Ihnen das später. Ich muss nur diesen Flug an seiner Stelle nehmen.« Zum ersten Mal wandte sich Nikolas zu ihm um und sah ihn an. »Ich muss so schnell wie möglich nach Köln.«
»Achten Sie auf die Straße!«, schnauzte Bühler ihn an und dirigierte Nikolas durch den römischen Verkehr auf die vierspurige Via Cristoforo Colombo und dann weiter in südliche Richtung auf den Autobahnzubringer und von dort auf die westliche Ringautobahn. Nikolas wollte den Schildern in Richtung Flughafen folgen, doch Bühler stieß ihm die Waffe gegen den Schädel und verlangte, dass er auf der A90 bleibe. Erst nach einigen Kilometern ließ er ihn abfahren und dirigierte ihn über kleine Straßen und Feldwege weiter durch einen ländlichen Vorort bis zu einem stillgelegten Industriegelände, auf dem weit und breit niemand zu sehen war.
»Raus!«, bellte Bühler.
»Sie machen einen großen Fehler«, sagte Nikolas leise, als Bühler ihn herauszerrte und gegen den Wagen stieß. Immer noch zielte er mit der Waffe auf ihn, entschlossen, diesem mehrfachen Mörder bei der ersten falschen Bewegung, dem bloßen Versuch einer Lüge, eine Kugel zu verpassen.
»Und jetzt erklären Sie mir, was da vorhin passiert ist.«
»Sie würden es doch nicht glauben, Bühler.«
»Ihr Problem, nicht meins. Versuchen Sie’s. Falls Sie mich überzeugen, bleiben Sie am Leben.«
Nikolas sah auf seine Uhr. »Es ist ohnehin zu spät.«
»Wofür?«
»Um die Apokalypse aufzuhalten.«
Nikolas sah Bühler seelenruhig an. Die Waffe schien ihm keinerlei Angst einzujagen, das beunruhigte Bühler. Was ihn ebenfalls beunruhigte war dieser abwesende Ausdruck in Nikolas’ Gesicht. Und seine linke Hand. Die künstliche Hand, von der ihm Yoko Tanaka berichtet hatte. Die Hand, die sie Peter Adam implantiert hatten.
»Nein, Sie irren sich nicht, Oberst Bühler. Das ist Peters Körper.«
Nicht wundern, handeln. Urs Bühler fasste die Waffe fester und atmete durch. Doch in diesem kurzen schwachen Moment der Verwunderung fiel er auf den ältesten aller Tricks herein. Nikolas sah kurz zur Seite, und instinktiv folgte Bühler seinem Blick. In der gleichen Sekunde traf ihn der Schlag. Bühler feuert sofort, doch der Schuss verfehlte Nikolas. Der Killer packte Bühlers Arm mit Peters bionischer Hand, wirbelte den massigen Schweizer herum wie nichts und stieß ihn zu Boden. Bühler sah die Pistole noch fallen, aber eher er nach ihr greifen konnte, hatte Nikolas sie schon in der Hand und hielt sie ihm an den Kopf.
»Jetzt erkläre ich Ihnen, was passiert ist, Bühler«, flüsterte Nikolas dicht
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