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Collector’s Pack

Collector’s Pack

Titel: Collector’s Pack Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Giordano
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erwarten. Peter vermochte nicht zu schätzen, wie alt sie war. Achtzig vielleicht. Womöglich älter. Sie trug einen zu großen blassblauen Trainingsanzug und darüber eine bunt gemusterte Stola. Ihre vollkommen grauen Haare trug sie streng zurückgekämmt als Zopf, der ihr bis zu den Hüften reichte. Ebenso streng wirkte ihr bronzenes Gesicht, aufgefaltet von Furchen und Runzeln wie ein kontinentales Bergmassiv mit wilden Tälern, Flüssen und Gletschern. Ihre Augen, die Peter die ganze Zeit regungslos und durchdringend musterten, waren so hell und klar und jung wie die der jungen Frau, die ihn nach Nikolas gefragt hatte und die der Alten nun beide Hände küsste. Überhaupt erkannte Peter jetzt die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Frauen. Die gleiche große nordische Nase, der gleiche sinnliche Mund. Die gleichen Hände. Die Alte, vermutlich die Großmutter oder gar Urgroßmutter der Jüngeren, musste zu ihrer Zeit eine atemberaubende Schönheit gewesen sein.
    Die Männer verbeugten sich vor der Alten. Auf eine Anweisung von ihr packten sie ihn und rissen ihm Jackett und Hemd vom Leib.
    »He!« Peter wehrte sich heftig und schlug dem Wortführer der vier seine freie rechte Faust ins Gesicht. Er wünschte sich seine bionische Linke zurück. Doch die Männer hielten ihn eisern fest, und der Wortführer verpasste Peter zwei harte Schläge in den Magen, die ihm die Luft aus dem Leib pressten. Kraftlos sackte er zusammen, während die Männer ihm brutal die Kleidung vom Leib rissen. Als sie seine Tätowierung sahen, wurde es still im Raum. Einer der Männer bekreuzigte sich. Die Alte schnalzte kurz mit der Zunge, als hätte sie es geahnt.
    Der junge Wortführer presste ihn nackt auf einen Stuhl in der Mitte des Raumes und sagte etwas auf Romanes. Es klang wie eine Forderung. Doch die Alte in ihrem grotesken Trainingsanzug schnitt ihm unwirsch das Wort ab und scheuchte die Männer mit scharfen Zischlauten hinaus. Nur die junge Frau blieb zurück, setzte sich steif auf das Sofa. Verwirrt starrte sie Peter an, während die Alte ihn unverwandt musterte, als …
    … lese sie in der Tätowierung wie in einem Buch.
    Niemand sprach. Peter nahm weitere Einzelheiten des Raumes wahr. Kruzifixe in allen Größen an den Wänden. Votivkerzen überall. Ein abgewetztes Sofa mit orientalischen Kissen und bestickten Decken. Darüber an der Wand eine Ikone mit der Darstellung der Mutter Gottes mit dem Jesuskind. Auf einem Tisch neben dem Sofa stand eine herrische Madonnenfigur in der Größe eines Kleinkindes. Sie trug eine goldene Krone und ein weißes Kleid aus Spitze. Wie eine Braut. Ihren Hals hatte man mit unzähligen Ketten aus bunten Glasperlen behängt. Diese Madonna war schwarz, ihr Ausdruck zeigte nicht die übliche zarte Wehmut, sondern die gleiche Strenge wie auch die Alte. In der rechten Hand hielt sie ausgestreckt eine Art goldenen, kugelförmigen Behälter. Das gleiche Gefäß, das auch das Jesuskind auf der Ikone in Händen hielt. Was Peter an der weiß gekleideten Madonnenfigur jedoch packte, war etwas ganz anderes. Zwischen den Perlenketten um ihren Hals sah er das blaue Amulett. Kein Zweifel. Die schwarze Madonna trug eines der Amulette um den Hals, Peter erkannte sogar das Symbol auf dem Medaillon. Ein doppeltes Achteck, ähnlich dem doppelten Kreissymbol.

    Nikolas hatte also eines der anderen Amulette gefunden.
    Aber was hat er weiter vorgehabt? Wer von diesen Leuten steht auf der Liste?
    »Weißt du, wo du bist, Gadžo ?«, sprach die Alte Peter nun auf Deutsch an.
    »In Köln«, erwiderte Peter abwesend und starrte unverwandt auf das Amulett. Die junge Frau folgte seinem Blick und erstarrte.
    »Weißt du, wer wir sind?«, fragte die Alte weiter.
    »Roma, nehme ich an.«
    Die Alte nickte. »Du darfst Zigeuner sagen. Aber weißt du auch, wer du bist?«
    Nein. Weißt du nicht.
    Peter atmete durch und erwiderte den Blick der alten Frau, die ohnehin bereits alles über ihn zu wissen schien.
    »Ich bin sein Bruder. Mein Name ist Peter Adam.«
    Die junge Frau auf dem Sofa stöhnte auf. Die Alte beachtete sie nicht und hielt ihren Blick weiter auf Peter gerichtet.
    »Ich heiße Ioona Bihari«, stellte sie sich nun vor. »Wir beide waren heute hier verabredet. Aber nun bist du als ein anderer gekommen, und ich muss nun prüfen, ob du bižužo bist. Unrein. Ein böser Geist.«
    »Und falls? Was passiert dann?«
    »Dann werden wir dich töten.«
    Es klang nicht einmal wie eine Drohung. Eher wie eine unausweichliche

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