Collector’s Pack
näherte sich dem mehr als zwanzigstöckigen Büro- und Apartmenthaus. Neben dem Eingang mit der breiten Glasschiebetür öffnete gerade ein kleiner Kiosk. Ein älterer Mann mit Hund kam ihm aus dem Haus entgegen und grüßte. Drinnen wischten zwei Putzfrauen den Boden. Unbehelligt nahm Bühler den Lift in den vierten Stock und schlich sich dann die Treppe hinab zurück in den dritten. Weite fensterlose Flure, die sich am Ende kreuzten. Fahl im Neonlicht, mit dunklem Teppichboden ausgelegt, der die Schritte dämpfte. Es roch nach Staub und dumpfem Vergessen. Mehr ein Bunker als ein Ort zum Wohnen. Kein Laut, nur das Rauschen der Lüftung im Flur. Vor Apartment 306 im rechten Quergang zog Bühler seine Waffe, während er an der Tür lauschte. Fast geräuschlos schob Bühler den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür mit einem Ruck.
Das Bild, das sich ihm bot, überstieg seine grauenhaftesten Erinnerungen. Das ganze Apartment war voller Blut. Auf dem Boden, an den Wänden, der Decke. Es bildete vertrocknete Schlieren an den Scheiben und klebte auf den Türklinken. Dazwischen waren Abdrücke von Händen zu erkennen, wie die Signatur eines Wahnsinnigen. Das Blut bedeckte das zertrümmerte Mobiliar und die Glasscherben am Boden, durchtränkte die zerfetzten Matratzen und die aufgeplatzten Kissen auf dem Boden. Dazwischen abgerissene Gliedmaßen, Rumpfteile, zerfetzte Eingeweide, ein abgehackter, zertrümmerter Schädel. Ein Mann, wie Bühler erkannte, aber nicht Peter Adam. Es sah aus, als sei dieser Mann hier förmlich explodiert. Sein Mörder hatte ihn in Stücke gehackt, geradezu zerrissen. Wie ein wildes Tier. Die Überreste des Mannes hatte der Killer in der ganzen Wohnung verteilt.
Bühler widerstand dem Impuls sich zu übergeben und drang zügig weiter in die Wohnung vor, die Waffe im Anschlag. Im Bad entdeckte er schließlich die Frau. Er erkannte sie von einem von Leonies Bildern wieder.
Der Killer hatte sie mit langen Nägeln an der Wand hinter der Badewanne gekreuzigt. Bühler fragte sich im ersten Augenblick, warum niemand im Haus das Hämmern gehört und die Polizei verständigt hatte. Die Frau war offenbar alt. Sie trug einen zu weiten Trainingsanzug, dessen blassblaue Farbe unter dem vielen Blut kaum noch zu erkennen war. Der Killer hatte die Frau mit ihrem eigenen Blut bestrichen. Mit dem Blut hatte er auch ein Symbol an die Wand neben ihr geschmiert, das Bühler erst für ein missglücktes doppeltes Kreissymbol hielt, bis er erkannte, dass es ein doppeltes Achteck darstellte.
Das übrige Blut hatte sich in der Badewanne gesammelt und dickte dort bereits ein. Der Kopf der alten Frau hing schlaff zur Seite. Der lange Zopf klebte an ihrem Körper und schien mahnend auf den aufgerissenen Unterleib zu zeigen, aus dem ihre Gedärme herausquollen. Fassungslos und unfähig zu irgendetwas anderem, kniete Bühler vor der Badewanne nieder und sprach ein Gebet. Das Vaterunser. Immer wieder.
Bis er das Stöhnen hörte.
Erschrocken sah er auf. Die Frau hatte sich nicht bewegt, aber er hörte deutlich, dass sie leise stöhnte. Er konnte es kaum glauben, dass überhaupt noch Leben in diesem Körper war. Wie benommen kletterte er auf den Rand der Badewanne und kam dicht an das Gesicht der Frau heran. Ihre Augen waren halb geöffnet. Sie hauchte etwas in einer fremden Sprache.
»Nicht sprechen!«, flüsterte Bühler und strich der Frau über das blutverklebte Haar. Helfen konnte er ihr ohnehin nicht mehr.
»Kelly …«, hauchte die Sterbende. »Er ist …«
»Nicht sprechen, bitte. Es ist gleich vorbei.«
Die Frau schlug jetzt mit letzter Kraft die Augen auf und sah Bühler an. Sie hauchte etwas, das Bühler nicht verstand. Er hielt sein Ohr dicht vor ihre geschwollenen Lippen.
»… Sara-la-Kâli … alles gesehen … Peter Adam …«
»Wo ist Peter Adam?«, flüsterte Bühler.
Und auf dem letzten Hauch, der diesen gequälten und misshandelten Leib verließ, wehte ein Wort an Bühlers Ohr, das er zunächst kaum verstand.
»… Pa…gode.«
Als Bühler sah, dass die alte Frau endlich ihren Frieden gefunden hatte, verließ er eilig das Bad. Er brauchte dringend frische Luft. Taumelnd trat er auf den kleinen Balkon hinaus, atmete tief aus und sah hinunter auf die Straße. Dort parkte der Mietwagen, in dem Nikolas immer noch wartete. Er sah, wie Nikolas ausstieg und zu ihm hinaufblickte. Und dann sah er die junge Frau, die plötzlich aus dem Hauseingang rannte und geradewegs auf Nikolas zulief.
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