Collins, Suzanne
getroffen habe.
Auf dem Ladentisch liegen ein paar alte Kanten Brot, eine
Ecke verschimmelter Käse und eine halbe Flasche Senf. Nicht jeder im Kapitol
hat dieser Tage einen vollen Bauch. Ich fühle mich verpflichtet, Tigris von
unseren Essensvorräten zu erzählen, aber sie wischt meine Einwände mit einer
Handbewegung beiseite. »Ich esse so gut wie gar nichts«, sagt sie. »Und wenn,
dann nur rohes Fleisch.« Ich finde, jetzt übertreibt sie ihre Rolle etwas, aber
ich enthalte mich jeden Kommentars. Ich kratze den Schimmel vom Käse und teile
das Essen unter uns auf.
Während wir kauen, schauen wir die neuesten Nachrichten
des Kapitols. Die Regierung hat uns fünf als überlebende Rebellen
identifiziert. Für Hinweise, die zu unserer Ergreifung führen, sind riesige
Belohnungen ausgesetzt. Es wird betont, dass wir gefährlich sind. Man sieht,
wie wir uns eine Schießerei mit Friedenswächtern liefern, aber nicht, wie die
Mutationen ihnen die Köpfe abreißen. In rührseliger Weise wird über die Frau
berichtet, die noch immer so daliegt, wie wir sie zurückgelassen haben, mit
meinem Pfeil in ihrem Herzen. Für die Kameras wurde allerdings ihr Make-up
aufgefrischt.
Die Übertragung läuft ungestört. »Haben die Rebellen heute
eine Erklärung verlesen?«, frage ich Tigris. Sie schüttelt den Kopf. »Coin weiß
wohl nicht, was sie mit mir anfangen soll, jetzt, da ich noch am Leben bin.«
Tigris gibt ein kehliges Gekicher von sich. »Keiner weiß,
was er mit dir anfangen soll, Mädel.« Dann drängt sie mir ein Paar von ihren
Pelzleggings auf, obwohl ich sie nicht bezahlen kann. Das ist so ein Geschenk,
das man einfach annehmen muss. Außerdem ist es in dem Keller auch ziemlich
kalt.
Nach dem Abendessen steigen wir wieder hinunter und zerbrechen
uns den Kopf darüber, wie es weitergehen soll. Keiner hat eine zündende Idee,
aber wir sind uns einig, dass wir nicht länger als Fünfergruppe hinausgehen
können und dass wir erst einmal versuchen sollten, auf andere Weise in den
Präsidentenpalast zu gelangen, ehe ich mich als Köder anbiete. Um Streit zu
vermeiden, stimme ich zu. Falls ich beschließe, mich zu opfern, treffe ich
diese Entscheidung sowieso allein, ohne die Erlaubnis oder Hilfe anderer.
Wir wechseln die Verbände, fesseln Peeta wieder an seine
Treppenstütze und legen uns schlafen. Ein paar Stunden später wache ich auf
und werde Zeuge einer leisen Unterhaltung. Peeta und Gale. Es ist unmöglich,
nicht zu lauschen.
»Danke für das Wasser«, sagt Peeta.
»Nicht der Rede wert«, antwortet Gale. »Ich wache sowieso
jede Nacht zehnmal auf.«
»Um sicherzugehen, dass Katniss noch da ist?«, fragt Peeta.
»So was in der Art«, gibt Gale zu.
Es folgt eine lange Pause, dann spricht Peeta weiter. »Das
war lustig, was Tigris gesagt hat. Dass keiner weiß, was er mit ihr anfangen
soll.«
»Tja, wir jedenfalls nicht«, sagt Gale.
Sie lachen. Es ist wirklich komisch, sie so reden zu
hören.
Fast, als wären sie Freunde. Sie sind aber keine. Waren
nie welche. Wobei, richtige Feinde sind sie auch nicht.
»Sie liebt dich, weißt du?«, sagt Peeta. »Das hat sie mir
mehr oder weniger deutlich gesagt, als du ausgepeitscht wurdest.«
»Glaub ich nicht«, entgegnet Gale. »So, wie sie dich beim
Jubel-Jubiläum geküsst hat ... also, mich hat sie nie so geküsst.«
»Das gehörte doch zur Show«, sagt Peeta, obwohl ein Hauch
von Zweifel in seiner Stimme liegt.
»Nein, du hast sie rumgekriegt. Du hast alles für sie
aufgegeben. Vielleicht ist das der einzige Weg, sie zu überzeugen, dass du sie
liebst.« Wieder eine lange Pause. »Ich hätte bei den ersten Spielen freiwillig
an deiner Stelle gehen sollen. Dann hätte ich sie beschützt.«
»Konntest du aber nicht«, wendet Peeta ein. »Das hätte sie
dir nie verziehen. Du musstest für ihre Familie sorgen. Ihre Familie bedeutet
ihr mehr als ihr Leben.«
»Was soll's, das Problem löst sich ja bald von selbst. Ich
halte es für unwahrscheinlich, dass wir alle drei das Ende dieses Kriegs
erleben werden. Und selbst wenn, ist es eher Katniss' Problem. Wen sie
erwählt.« Gale gähnt. »Wir sollten noch ein bisschen schlafen.«
»Ja.« Peetas Handschellen rutschen an der Stütze herunter,
er hat sich wieder hingelegt. »Ich frage mich, wie sie ihre Entscheidung
treffen wird.«
»Das ist nicht so schwer«, höre ich Gale noch durch eine
Schicht Pelze murmeln. »Katniss wird den nehmen, von dem sie denkt, dass sie
ohne ihn nicht überleben
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