Collins, Suzanne
erschreckt«, fährt
Plutarch fort. »Bereits in den letzten beiden Interviews deutete sich an, dass
sein Zustand sich sehr verschlechtert hat. Es war offensichtlich, dass er
misshandelt worden war, und wir haben seine psychische Verfassung darauf
geschoben. Jetzt glauben wir, dass es nicht nur das war. Sondern dass das
Kapitol ihn einer ungewöhnlichen Technik ausgesetzt hat, die als Einweben
bekannt ist. Beetee?«
»Es tut mir leid, Katniss«, sagt Beetee, »aber ich kann es
dir nicht in allen Details erklären. Die Einzelheiten über diese Art der Folter
hält das Kapitol streng geheim, und ich glaube, die Ergebnisse sind mal so, mal
so. Folgendes wissen wir: Es handelt sich um eine Art Angstkonditionierung. Das
Wort weben führt uns zu der Wespe, die
>die Webende< genannt wurde. Wir vermuten, dass dieser Begriff gewählt
wurde, weil das Gift der Jägerwespe eingesetzt wird. Du bist in deinen ersten
Hungerspielen ja von einer gestochen worden, also hast du die Wirkung des
Gifts am eigenen Leib erlebt.«
Panik. Halluzinationen. Albtraumhafte Visionen, meine
Liebsten zu verlieren. Denn das Gift zielt auf die Region des Gehirns, in der
die Angst beheimatet ist.
»Bestimmt weißt du noch, wie furchterregend das war. Hast
du in der Folge auch unter geistiger Verwirrung gelitten?«, fragt Beetee.
»Hattest du Schwierigkeiten, zwischen Wirklichkeit und Einbildung zu
unterscheiden? Die meisten Menschen, die gestochen wurden und es überlebt
haben, berichten von dergleichen.«
Ja. Die Begegnung mit Peeta. Selbst als ich wieder klar
denken konnte, war ich mir nicht sicher, ob er es mit Cato aufgenommen hatte,
um mir das Leben zu retten, oder ob ich mir das nur eingebildet hatte.
»Ereignisse können nur schwer wieder abgerufen werden,
weil die Erinnerungen beeinflusst worden sind.« Beetee tippt sich an die Stirn.
»Sie werden ins Bewusstsein geschoben, manipuliert und in der veränderten Form
wieder gespeichert. Angenommen, du sollst dich an etwas erinnern - entweder
fordere ich dich dazu auf, oder ich spiele dir eine Aufnahme des Ereignisses
vor -, und während das Erlebnis aufgefrischt wird, verabreiche ich dir eine
Dosis Jägerwespengift. Nicht genug, um dich drei Tage bewusstlos zu machen. Nur
so viel, dass die Erinnerung von Angst und Zweifel durchdrungen wird. Und so
wird sie dann in deinem Langzeitgedächtnis abgelegt.«
Allmählich wird mir schlecht. Prim stellt die Frage, die
mir auf der Zunge liegt. »Haben sie das mit Peeta gemacht? Seine Erinnerungen
an Katniss so verzerrt, dass sie beängstigend geworden sind?«
Beetee nickt. »So beängstigend, dass er Katniss als
lebensbedrohlich betrachtet. Und versucht, sie umzubringen. Ja, das ist unsere
aktuelle Theorie.«
Ich vergrabe das Gesicht in den Armen, weil das einfach
nicht wahr sein darf. Es ist unmöglich. Peeta vergessen lassen, dass er mich
liebt ... das können sie nicht machen.
»Aber man kann es wieder rückgängig machen, oder?«, fragt
Prim.
»Hm ... darüber ist bisher wenig bekannt«, sagt Plutarch.
»Genau genommen gar nichts. Falls schon einmal versucht wurde, jemanden wieder
zu entweben, haben wir darüber keine Aufzeichnungen.«
»Aber ihr werdet es versuchen, oder?«, beharrt Prim. »Ihr
werdet ihn nicht in eine Gummizelle sperren und ihn seinem Schicksal
überlassen?«
»Natürlich werden wir es versuchen, Prim«, sagt Beetee.
»Wir wissen nur nicht, in welchem Maß wir Erfolg haben. Wenn überhaupt. Ich
vertrete die These, dass furchterregende Ereignisse am schwierigsten
auszulöschen sind. An sie erinnern wir uns naturgemäß am besten.«
»Und wir wissen ja auch noch nicht, was sie noch
manipuliert haben, von seinen Erinnerungen an Katniss einmal abgesehen«, sagt
Plutarch. »Wir stellen ein Team aus Psychiatern und Militärspezialisten
zusammen, damit sie eine Gegenstrategie erarbeiten. Ich persönlich bin
optimistisch, dass er wieder ganz gesund wird.«
»Ach ja?«, sagt Prim bissig. »Und was glaubst du, Haymitch?«
Ich hebe den Arm etwas, damit ich durch die Lücke seinen
Gesichtsausdruck sehen kann. Erschöpft und mutlos gesteht er: »Ich glaube, dass
Peeta sich etwas erholen wird. Aber ... ich glaube nicht, dass er wieder der
Alte wird.« Ich schiebe die Arme wieder zusammen, schließe die Lücke, will
keinen sehen.
»Wenigstens ist er am Leben«, sagt Plutarch, als ob er
langsam die Geduld mit uns verliert. »Heute Nacht hat Snow Peetas Stylistin
und sein Vorbereitungsteam vor laufender Kamera hinrichten lassen. Wir
Weitere Kostenlose Bücher