Collins, Suzanne
haben
keine Ahnung, was mit Effie Trinket passiert ist. Peeta ist angeschlagen, aber
er ist hier. Bei uns. Und das ist eine klare Verbesserung gegenüber der
Situation vor zwölf Stunden. Daran wollen wir denken, okay?«
Plutarchs Versuch, mich aufzumuntern, gewürzt mit der
Nachricht von vier, möglicherweise auch fünf weiteren Morden, geht nach hinten
los. Portia. Peetas Vorbereitungsteam. Effie. Vor lauter Anstrengung, die
Tränen zurückzuhalten, fängt es in meinem Hals an zu pochen, bis ich nach Luft
ringe. Schließlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als mich wieder zu
betäuben.
Als ich aufwache, frage ich mich, ob ich jetzt nur noch
schlafen kann, wenn sie mir Drogen in den Arm jagen. Ich bin froh, dass ich
die nächsten Tage nicht sprechen darf, denn ich will gar nichts sagen. Ich
möchte auch nichts tun. Ich bin eine richtig vorbildliche Patientin, meine
Lethargie wird als Zurückhaltung verstanden, als Gehorsam gegenüber den
Anweisungen der Ärzte. Jetzt ist mir nicht mehr zum Weinen zumute. Ich klammere
mich an einen einzigen Gedanken - an das Bild von Snows Gesicht, dazu ein
Flüstern in meinem Kopf: Ich werde dich töten.
Meine Mutter und Prim pflegen mich abwechselnd und
überreden mich dazu, etwas weiche Nahrung zu mir zu nehmen. Von Zeit zu Zeit
besuchen mich Leute und halten mich über Peetas Zustand auf dem Laufenden. Die
hohe Konzentration des Jägerwespengifts in seinem Körper lässt allmählich
nach. Er wird ausschließlich von Fremden behandelt, Bewohnern von Distrikt 13.
Niemand aus seiner Heimat oder aus dem Kapitol darf ihn sehen, damit keine
gefährlichen Erinnerungen hochkommen. Ein Spezialistenteam arbeitet intensiv an
einer Strategie für seine Heilung.
Gale kann mich nicht besuchen, weil er mit seiner verwundeten
Schulter das Bett hüten muss. Aber am dritten Abend, nachdem ich meine
Medikamente bekommen habe und das Licht gedimmt ist, schlüpft er in mein
Zimmer. Er sagt nichts, streicht nur mit den Fingern über die Würgemale an
meinem Hals, eine Berührung, so zart wie Mottenflügel, drückt mir einen Kuss
auf die Stirn und verschwindet wieder.
Am nächsten Morgen werde ich entlassen, mit der Auflage,
mich vorsichtig zu bewegen und nicht mehr zu sprechen als nötig. Ich habe
keinen Tagesplan auferlegt bekommen, also laufe ich ziellos herum, bis Prim von
ihren Pflichten auf der Krankenstation entbunden wird, um mich zu unserer neuen
Wohneinheit zu begleiten. Nummer 2212. Exakt genau so wie die andere, nur ohne
Fenster.
Butterblume bekommt jetzt eine tägliche Ration Futter zugeteilt
und im Bad steht für ihn eine Schale mit Sand unter dem Waschbecken. Als Prim
mich ins Bett bringt, springt er auf mein Kopfkissen und buhlt um ihre Aufmerksamkeit.
Sie nimmt ihn in den Arm, schaut jedoch mich an. »Katniss, ich weiß, dass die
Geschichte mit Peeta entsetzlich für dich ist. Aber vergiss nicht, dass Snow
ihn wochenlang bearbeitet hat, und wir haben ihn erst ein paar Tage hier. Es
kann sein, dass der alte Peeta, der dich liebt, immer noch in ihm drin ist. Und
zu dir zurückkommen will. Gib ihn nicht auf.«
Ich sehe meine kleine Schwester an und denke, dass sie die
besten Eigenschaften in sich vereint, die unsere Familie zu bieten hat: die
heilenden Hände meiner Mutter, den kühlen Kopf meines Vaters und meinen
Kampfgeist. Und noch etwas ist da, etwas, das nur ihr gehört. Die Fähigkeit,
das Durcheinander des Lebens zu betrachten und die Dinge so zu sehen, wie sie
sind. Kann es sein, dass sie recht hat? Könnte Peeta zu mir zurückkommen?
»Ich muss jetzt wieder auf die Station«, sagt Prim und
setzt Butterblume neben mich aufs Bett. »Ihr beide leistet einander
Gesellschaft, ja?«
Butterblume springt vom Bett und läuft ihr nach bis zur
Tür, und als sie ohne ihn weggeht, beschwert er sich lautstark. Einen Dreck
leisten wir einander. Nach ungefähr dreißig Sekunden weiß ich, dass ich es in
dieser unterirdischen Zelle nicht länger aushalte, und überlasse Butterblume
sich selbst. Nachdem ich mich ein paarmal verlaufen habe, finde ich den Weg
hinunter zur Waffenabteilung. Alle, an denen ich vorbeikomme, starren meine
Würgemale an, und ich fühle mich so unwohl dabei, dass ich den Kragen bis zu
den Ohren hochziehe.
Auch Gale ist offenbar heute Morgen entlassen worden, ich
treffe ihn mit Beetee in einem der Forschungsräume. Die beiden sind ganz
vertieft in eine Zeichnung, sie haben die Köpfe darübergebeugt und messen etwas
ab. Mehrere Versionen der Zeichnung liegen
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