Colombian Powder
glaubte sie, die sanfte Meeresbrise auf der Haut zu spüren, den Duft von Oleander und Bougainvillea zu riechen und Marcos vergnügte Stimme zu hören.
Nur nicht durchdrehen, beschwor sich Nina. Trotzdem konnte sie die erneuten Tränen nicht zurückhalten und erlebte das Aufsetzen und Ausrollen der Maschine durch einen verschwommenen Schleier. Mit zitternden Fingern führte sie den Anhänger der Inselpatronin an die Lippen und gab sich ganz der einzigen tröstlichen Vorstellung hin, dass Beate nur wenige Meter entfernt auf sie warten würde. Beate war der einzige Mensch, der ihr jetzt helfen konnte.
Das Ankunftsgebäude des Flughafens Schöneberg war gut geheizt, und Nina überflutete trotz allem das befreiende Gefühl, nach Hause zu kommen. Durch die Zeitverschiebung war es hier früher Morgen, die Gesichter ringsum bleich und müde. Mechanisch stellte sie sich mit den anderen Fluggästen vor dem Gepäckband auf und wartete auf ihren Koffer. Immer wieder glitt ihr Blick zum Ausgang und den dahinter wartenden Menschen, doch Beate konnte sie nirgends finden.
Das Förderband setzte sich rumpelnd in Bewegung und spuckte alsbald seine Gepäckflut aus. Es dauerte nicht lange, bis Nina ihren Koffer wiederhatte und sie ungeduldig an den gelangweilt dreinschauenden Beamten des Zolls vorbei zum Ausgang stakste. Keine Menschenseele nahm von ihr Notiz – nur die bleierne Müdigkeit der frühen Stunde lag über der Szenerie.
Die wartende Menge hatte sich gelichtet, doch Beate war immer noch nicht aufgetaucht. In der Hoffnung, sie draußen im Raucherbereich anzutreffen, verließ Nina die Ankunftshalle.
Ihr Koffer, den sie an einem Band hinter sich herzog, kam gefährlich ins Schwanken, als sie vor den gähnend leeren Bänken abrupt stehen blieb. Trotz der klammen Kälte brach ihr nun der Schweiß aus. Hektisch kramte sie nach ihrem Mobiltelefon und schaltete es ein. Noch bevor sie Beates Nummer wählen konnte, hörte das Ding nicht mehr auf zu piepsen und zeigte vier Textmeldungen an. Allesamt von Beate, vor eineinhalb Stunden kurz hintereinander abgeschickt.
Treffpunkt Wasserturm Hohenschönhausen!!!, war in allen zu lesen. Sofort wählte Nina Beates Nummer, doch ihr Telefon war ausgeschaltet. Was um alles in der Welt hatte sie um diese Zeit am Wasserturm, der so weit draußen lag, verloren? Dorthin fuhr sie mit dem Taxi ja fast eine Stunde! Nina biss sich auf die Lippen, um nicht auf der Stelle loszuheulen. Diese grauenhafte Nacht und die ganze Aufregung, die hinter ihr lag, zerrten an ihren Nerven, und jetzt war Beate nicht da!
So schnell sie konnte, raffte sie ihre Sachen zusammen und steuerte eines der Taxis an, die auf der Standspur auf Fahrgäste warteten.
»Waldowstraße«, stieß sie hervor, als sie der Fahrer fragend durch die halb geöffnete Fensterscheibe ansah.
Um diese Zeit war es auf Berlins Straßen noch verhältnismäßig ruhig, und sie erreichten ihr Ziel bereits in knappen dreißig Minuten. Der Himmel wurde von Osten her etwas heller, aber die Dunkelheit hing immer noch über der Stadt wie ein rußiger Schleier.
»Sind Sie sicher, dass Sie hier aussteigen wollen?«, fragte der Taxifahrer in breitem Berliner Dialekt und musterte Nina mit unverhohlener Skepsis.
Er hatte nicht ganz unrecht, denn der Park, in dem der Wasserturm stand, sah um diese Uhrzeit alles andere als einladend aus. Noch einmal wählte Nina Beates Mobiltelefon an, ohne Erfolg. Ausgeschaltet. Nina überlief eine Gänsehaut. Was erwartete sie in diesem menschenleeren Park?
Ganz so menschenleer war er dann doch nicht. Kaum war das Taxi abgefahren, ertönte aus dem Dunkel ein leiser Pfiff. Nina erkannte die Flamme eines Feuerzeuges, die auf die Silhouette des Wasserturmes zusteuerte. Widerstrebend folgte sie der Erscheinung, im Schlepptau noch immer ihren schweren Koffer.
»Um Himmels willen!«, stieß Nina entsetzt aus, als Beate plötzlich auf dem dunklen Weg auftauchte. »Was zum Kuckuck hat das alles zu bedeuten?«
»Wir müssen von hier verschwinden«, lautete der knappe Kommentar der Freundin, keine Begrüßung, nichts. Sie sah seltsam verändert aus mit ihrer neuen, rostroten Kurzhaarfrisur. Es war jedoch ihr Gesicht, das Nina alarmierte. Die sonst so gelassene Beate war leichenblass, und in ihren Augen lag ein gehetztes Flattern.
»Was ist denn los?«
Nun fiel ihr die Freundin doch um den Hals, es war die Geste einer Ertrinkenden. »Gott sei Dank bist du endlich da!«
»Beate!«, zischte Nina in jäher Panik. »Jetzt sag
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