Colombian Powder
bin nicht besonders gut im Verabschieden. Mir fällt dazu nur ein Zitat von Schiller ein: Abschiedsworte sollten so kurz sein wie eine Liebeserklärung.«
Täuschte sie sich, oder klang seine Stimme ebenfalls brüchig?
»Kurz, aber nicht minder schmerzvoll«, erwiderte Nina mühsam. Ihr ganzer Brustkorb schien in einem Panzer zu stecken, und jeder Atemzug brannte. »Leb wohl, mein Lebensretter.«
Sie hatte bereits die Türklinke in der Hand, als Marco sie mit einer verzweifelten Bewegung zurückhielt. »Geh nicht. Lass mich in unserer letzten Nacht nicht allein.«
Nina fragte sich, wie weit sich der Schmerz in ihrer Brust noch steigern konnte. Sie hätte am liebsten aufgejault wie ein verletztes Tier, und doch blieben ihre Augen trocken.
»Ich kann nicht«, flüsterte sie. Wie unter Schlägen taumelte sie aus der Kabine auf den Gang hinaus.
»Nina!« Ihr Name gellte wie ein Peitschenknall durch den Korridor. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Sein Gesicht hatte nur noch wenig mit dem attraktiven Mann von vorhin gemein. Seine Haut wirkte plötzlich wächsern, und er starrte sie aus unnatürlich aufgerissenen Augen an. Seine Hand umklammerte den Türstock, als wolle er ihn im Ganzen herausreißen. Nina holte Luft, wollte etwas sagen, brachte jedoch keinen Laut zustande. Wie ferngesteuert wandte sie sich um und zwang sich, weiterzugehen. Würde sie ein einziges Mal zurückschauen, brächte sie die Kraft nicht mehr auf, diese Sache durchzuziehen.
Wenn es einen passenden Moment zum Sterben gab, welchen, wenn nicht diesen? Das waren ihre letzten Gedanken, bevor sie die Tür ihrer eigenen Kabine hinter sich zuschlug und in Tränen ausbrach.
… wird Sturm ernten
Fahrig tastete Nina nach den Knöpfen des Radios. Sofort verstummten die Töne der Band Europe , die hysterisch nach Carrie riefen. Warum musste das verdammte Ding ausgerechnet jetzt diese Schmachtnummer von sich geben? Obwohl, ihr Herz fühlte sich so taub an, da richtete selbst dieser Ohrwurm keinen Schaden mehr an. Buchstäblich jede Faser ihres Körpers schmerzte, angefangen von ihrem Nacken. Kein Wunder, lag sie doch seit Stunden in derselben Position im Bett und wartete, dass der Tag anbrach und das Schiff in Miami anlegte. Die Nacht schien endlos zu sein, doch irgendwann begann der Schiffsrumpf zu zittern. Die Diamond Dolphin ging längsseits.
Seufzend erhob sie sich und warf achtlos eine Jacke über. Leise verließ sie die Kabine und begab sich zu der Galerie am Ende des Ganges, von der aus man das ganze Atrium im Blickfeld hatte. Trotz der frühen Stunde warteten unzählige Passagiere auf die Öffnung des Portals. Wie ein Agent in einem billigen Spionagethriller versteckte Nina sich dort oben, nur um einen letzten Blick auf den Mann zu werfen, der ihr vertraut und den sie im Gegenzug schamlos belogen hatte. Sie checkte jedes einzelne Gesicht in der Menge, ohne ihn zu entdecken. Das Schiff war inzwischen vertäut und die Crew begann, die Absperrbänder vor dem Ausgang zu entfernen. Nina beugte sich weiter über die Brüstung, um auch den letzten Winkel der Eingangshalle zu erhaschen, und prallte jäh zurück. Genau unterhalb der Galerie stand Marco, neben ihm Klaus Eggerth – ausgerechnet der! Zwar konnte sie nicht verstehen, was die beiden miteinander sprachen, es sah aber so aus, als würde auch Eggerth das Schiff verlassen. Augenblicklich fiel ihr wieder die Beobachtung von Jens ein, der die beiden öfters zusammen gesehen haben wollte. Nina runzelte die Stirn. Irgendwie befremdete es sie, wie einträchtig die beiden Männer sich unterhielten.
Das Portal wurde geöffnet und die Menge erwachte aus ihrer Lethargie. Marco und Eggerth schulterten ihr Handgepäck. Nina blieb nichts anderes übrig, als einen letzten, verzehrenden Blick auf Marcos Rücken zu werfen, bevor er über die Gangway im Zwielicht verschwand.
Nun war der Lauf der Dinge also besiegelt. Sie wandte sich ab und ging zurück in ihre Kabine. Im Gang waren zwei Besatzungsmitglieder dabei, das vor den Türen abgestellte Gepäck mit einem Wägelchen einzusammeln. Nina hätte beinahe hysterisch aufgelacht, als sie ihren eigenen Koffer darauf entdeckte. Endlich konnte sie sich von dem Gedanken befreien, ihn mit dem von Marco zu vertauschen, der bis vorhin ebenfalls vor seiner Kabine gestanden hatte. Die halbe Nacht waren ihre Gedanken ausschließlich um diese Möglichkeit gekreist. Aber sie hatte es nicht getan, und dieser Umstand schnürte ihr die Luft ab. Mühsam zog sie sich aus und
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