Colombian Powder
in diesem Moment ihr Mobiltelefon los. Eine SMS. Es war die Information über ihren Kontostand, den sich Nina allwöchentlich auf diesem Wege anzeigen ließ. Nach einem kurzen Blick ließ sie das Telefon frustriert sinken. Beate hatte vollkommen recht. Ihr Leben musste sich von Grund auf ändern, und dazu brauchte sie Kapital. Wenn man es so betrachtete, war der Rauswurf durch Bürkers sogar ein Glücksfall. Wer weiß, wie lange sie sonst noch Tag für Tag in diese Tretmühle gepilgert wäre, um sich an den Busen grapschen zu lassen und für einen kargen Lohn zu schuften, der sie ja doch nie aus ihrer finanziellen Not herausholen würde. Jetzt, im hellen Licht des neuen Tages, schien auf einmal alles klar vor ihr zu liegen. Was war aus ihren hochtrabenden Träumen geworden? Studium, Karriere, Unabhängigkeit, ein Leben im guten Mittelstand, wie sie es von zu Hause gewohnt war.
Zuhause. Dieses Wort hinterließ einen bitteren Geschmack. Wann hörte sie endlich auf, daran zu denken? Keine Frage, alles, was Beate gesagt hatte, war richtig.
Am Nachmittag machte sich Nina auf den Weg in die Innenstadt, um ihren kreisenden Gedanken zu entfliehen und sich etwas zu essen zu kaufen. Das Wetter hatte endlich aufgeklart, und eine schwache Wintersonne erhellte die weihnachtlich geschmückten Straßen. An einer Imbissbude kaufte sie einen Döner und setzte sich damit auf eine Bank in der Fußgängerzone. Behaglich lehnte sie sich zurück und genoss das lang entbehrte Gefühl von Sonne auf der Haut. Während sie aß, beobachtete sie die Passanten. Ihr Blick fiel auf ein Pärchen, das auf dem Rand eines Brunnens kauerte. Junkies, das war unübersehbar, abgerissen, mit blassen, ausgehöhlten Gesichtern. Sie waren gerade auf Betteltour, denn der Mann zählte einige Münzen in seiner Hand. Zwischen dem überquellenden Weihnachtsschmuck und den mit Geschenken beladenen Menschen boten die beiden einen jämmerlichen Anblick. Der Mann war mit seiner Ausbeute zufrieden und ließ die paar Münzen in seiner Hosentasche verschwinden. Dann stand er auf und zog seine Partnerin, die stoned war wie ein Esel, mit sich. Mit schwerfälligem Schritt verschwanden die beiden um eine Ecke und damit aus Ninas Blickfeld.
Es war noch keine halbe Stunde her, da hatte sie sich entschlossen, Ramons Vorschlag anzunehmen. Als sie die beiden gezeichneten Gestalten sah, geriet ihr Entschluss kurz ins Wanken.
Plötzlich hatte sie das Bild von Ramon vor sich, wie er ihr elegant und weltmännisch gegenübersaß. Typen wie er verdienten mit dem Elend anderer. Nina musste nur an die Ravepartys denken, die sie schon besucht hatte, an all die Pillen und Pulver, die dort fleißig ihre Besitzer wechselten. Die Drogenkartelle hatten es geschafft, vor allem das Kokain seit den 90er Jahren zur absoluten Partydroge zu etablieren.
Und nun war sie selbst im Begriff, Teil dieser Maschinerie zu werden.
Nina schluckte einen Bissen des Döners hinunter, doch er schmeckte plötzlich eigenartig. Nina stand auf und klopfte sich ein paar Brösel von der Hose. Den halb gegessenen Döner warf sie bedauernd in eine Mülltonne und holte dann ihr Handy hervor. Erst nach langem Klingeln nahm Beate das Gespräch an. Sie klang noch verschlafen und erzählte, dass Ramon am Morgen abgereist war.
»Ich habe mir vom Concierge gerade ein Kopfschmerzmittel bringen lassen«, stöhnte sie, als sie Nina im Bademantel die Tür öffnete. »Wir haben gestern zu viel gebechert.«
Ninas eigener Kater war zwar abgeklungen, trotzdem fühlte sie sich seltsam wackelig auf den Beinen. Dankbar griff sie zu dem Glas Wasser, das Beate ihr reichte. »Wie hat es Ramon denn nach dem gestrigen Abend geschafft, so früh abzureisen?«
Ihre Freundin winkte ab. »Er hat doch kaum etwas getrunken. Wenn er Gäste hat, hält er sich stets zurück und nippt nur am Alkohol, wenn überhaupt. Ramon ist ein Profi!«
Nina bezweifelte keine Sekunde, dass Ramon ein Profi war, in welcher Hinsicht auch immer. Beate legte sich die Hand auf die Stirn und stöhnte erneut. »Alkohol tötet langsam – wir haben also viel Zeit. Nützen wir sie zum Essen.« Sie griff zum Telefonhörer.
Nina wollte erwähnen, dass sie eigentlich satt war, aber da sprach Beate schon in den Hörer und bestellte einen üppigen Brunch in die Suite.
»Nun sag schon. Was hältst du von Ramons Angebot?«, fragte Beate und bestrich sich ein Croissant mit Butter.
Nina kaute übertrieben lange an ihrem Obstsalat und überlegte dabei, wie sie es Beate am
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