Colombian Powder
Sonnenuntergang lange vorbei war, feierten einige Unentwegte auf dem Platz am Meer noch immer. Das Leben auf der Insel schien zum Großteil aus Party zu bestehen. Nina spürte einen gewissen Anflug von Neid, wenn sie an ihren öden Alltag im fernen Deutschland dachte. Darum ließ sie es auch zu, dass Jens ihre Hand ergriff und sie abwechselnd mit Beate zur Popmusik aus den Boxen im Kreis wirbelte. Liebend gerne wäre sie länger geblieben und hätte die Stimmung ihrer ersten Nacht in der Karibik auf sich wirken lassen. Doch allmählich war es an der Zeit, wieder an Bord des Schiffes zu gehen. Auf der Gangway der Diamond Dolphin hatte sich ein ziemlicher Stau gebildet. Mitglieder der Crew durchleuchteten wie zuvor in Miami jedes Gepäckstück, das mit an Bord genommen wurde. Mit gemischten Gefühlen beobachtete Nina, wie gründlich alle Ankömmlinge kontrolliert wurden.
Zwischen Skylla und Charybdis
Am nächsten Morgen nahm die Diamond Dolphin wieder Kurs auf hohe See. Der Himmel war wolkenlos und die Sonne ging in prächtigen Orangetönen am Horizont auf. Die meisten Passagiere verschliefen das Naturschauspiel. Nina jedoch war seit dem Morgengrauen wach. Durch die ungewohnten, wenn auch kaum spürbaren Schaukelbewegungen des Schiffes hatte sie schlecht geschlafen, im Gegensatz zu der noch immer schlummernden Beate. Mühsam hievte sie sich aus dem Bett und streckte ihre Glieder. Dabei fiel ihr Blick auf die Badetasche, die in der Ecke lehnte. Ein erfrischendes Bad im Pool würde ihren Lebensgeistern rasch auf die Sprünge helfen.
Im Bikini und einem Strandkleid darüber betrat Nina wenig später das Oberdeck. Die Mitte bildete ein Schwimmbecken und eine künstliche Felsformation, in die zwei kreisrunde Whirlpools eingebettet waren. Dazwischen befand sich eine Bühne, die offensichtlich für Shows gedacht war. Auf der gesamten Deckslänge standen Reihe um Reihe bunte Liegestühle, sogar auf der Galerie, die oberhalb des Poolbereichs verlief.
Die Luft war überraschend frisch und roch nach Jod und Salz. Wie zu erwarten waren kaum Passagiere zu sehen. Ein Kellner kurbelte gerade die Rollläden der Poolbar hoch. Er grüßte Nina freundlich und beobachtete, wie sie die Trittleiter hinunter ins Wasser stieg. Sie legte sich auf den Rücken und stieß sich langsam vom Beckenrand ab. Es war ein herrliches Gefühl, wie das Wasser ihren Körper umspülte. Tief atmete sie ein und blinzelte zu dem milchigweißen Himmel auf. Irgendwie kam ihr diese Reise noch immer unwirklich vor, und sie spürte leise Gewissensbisse, dass sie den Aufenthalt hier mit jeder Stunde mehr genoss. Im Hinterkopf meldete sich allzu oft die Anspannung wegen des eigentlichen Grundes für diese Kreuzfahrt. So ein Unterbewusstsein konnte verdammt hartnäckig sein. Jetzt allerdings fühlte sie sich wie ein Fohlen, das man nach langer Zeit im Stall endlich auf die Weide entließ. Dabei war sie zu nichts anderem auf dem Schiff, als Ramons Auftrag zu erledigen. Durfte sie überhaupt solches Vergnügen an dieser Kreuzfahrt empfinden? Egal. Ramon würde nur ihr Handeln ermessen können, nicht ihre Gedanken.
Mit einem Seufzer stieß sie sich erneut vom Beckenrand ab. Plötzlich hallten vom anderen Ende des Decks laute Zurufe herüber. Nina hob den Kopf und erblickte eine Gruppe Jugendlicher in Badekleidung, die sich übermütig einen Ball zukickten. Augenblicke später hatten sie das Becken erreicht und sprangen alle zusammen ins Wasser. Die eben noch ruhige Oberfläche kam in Bewegung, und Nina schwappte ein Schwall Wasser ins Gesicht. Sie verschluckte einen Mundvoll und bemerkte erst jetzt, dass der Pool Salzwasser enthielt. Doch irgendetwas stimmte mit diesem Wasser nicht. Ihr Hals und ihre Augen begannen augenblicklich wie Feuer zu brennen, und der intensive Salzgeschmack nahm ihr den Atem. Sie wollte aufstehen, aber ihre Füße fanden keinen Boden. Panik erfasste sie, obwohl sie wusste, dass der Pool eigentlich zu klein zum Ertrinken war. Vor Schmerzen konnte sie ihre Augen kaum mehr öffnen. Sie wollte um Hilfe rufen! Stattdessen kam nur ein Krächzen aus ihrem Mund, dem ein Hustenanfall folgte. Plötzlich schoben sich von hinten zwei Arme unter ihre Achseln. Nina keuchte und schniefte und spürte endlich den rettenden Beckenrand unter ihren Händen.
»Sie werden doch nicht auf einer Kreuzfahrt im Pool ertrinken wollen«, sagte eine tiefe Stimme hinter ihr. Kläglich wischte sie sich mit den Fingern die Augen aus. Als ihr Blick wieder etwas klarer
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