Colombian Powder
Augenbrauen hoch. »Kann man denn jemanden wie mich irgendwo vergessen?«
»Warum hast du mich nicht geweckt?«
»Hab ich ja versucht! Du hast dich nur murmelnd umgedreht, und da bin ich eben allein zum Abendessen gegangen.« Sie entfernte die Silberfolie von einem der Teller und reichte ihn Nina.
»Dafür habe ich dir dein Weihnachts-Dinner einpacken lassen.«
Weihnachten! Nina hatte ganz vergessen, dass Heiligabend war.
Zwischen Entrecote und Duchesse-Kartoffeln glänzte etwas. Mit spitzen Fingern fischte sie einen länglichen, hübsch mit Strasssteinen besetzten Anhänger aus der Bratensoße. Die dazugehörige Kette war rund um den Rotkohl drapiert.
»Das ist übrigens mein Weihnachtsgeschenk für dich«, bemerkte Beate beiläufig.
Nina war gerührt. Sie hatte überhaupt nicht damit gerechnet, in diesem Jahr irgendein Geschenk zu bekommen.
»Warte, ich habe auch was für dich.« Selbstverständlich hatte Nina auch an die Freundin gedacht. Sie griff in die Schublade ihres Nachttisches und zog eine kleine, flache Schachtel heraus.
»Was ist denn das?« Beate hob an einer Schnur einen kreisrunden Gegenstand heraus, an dem Perlen und Federn baumelten und dessen Inneres aus einem geometrischen Netz aus Bindfäden bestand.
»Ein Traumfänger. Den habe ich selbst gebastelt. Wenn du ihn über dein Bett hängst, bleiben die bösen Träume darin hängen, und nur die Guten erreichen dich.«
»So etwas gibt es? Wie praktisch!«
Beate stand auf und befestigte den Traumfänger fürs Erste über dem Bullauge.
Beim Anblick der duftenden Speisen bemerkte Nina erst, wie hungrig sie war, und machte sich über den Teller her.
»Wie war es denn beim Tauchen?«, fragte sie kauend.
»Schade, dass du nicht mitgekommen bist. Es war fantastisch! An den Riffen vor Cozumel soll es Tausende von Fischarten geben. Wir haben sogar einen Schwarm Adlerrochen gesehen«, geriet Beate ins Schwärmen. »Aber rate mal, wer durch Abwesenheit geglänzt hat?«
»Ein gewisser Dentist aus Hamburg«, ätzte Nina triumphierend.
Beate zog fragend die Augenbrauen hoch, und sie erzählte ihr von ihrer Begegnung mit Jens in Chichen Itza.
»Der Herr Doktor hält sich scheinbar gern mehrere Optionen offen. Das Kleingeld dafür scheint er ja zu haben.« Beate tat die Sache mit einem Schulterzucken ab. »Egal, das Tauchen hat sich in jedem Fall gelohnt. Das könnte direkt ein Hobby von mir werden. Und außerdem habe ich dort eine neue Bekanntschaft gemacht.«
Nina horchte auf. »Einen neuen Teilnehmer bei unserer Koffer-Lotterie?«
Beate grinste über diese Bezeichnung. »Nicht wirklich. Dieser hier lebt im falschen Land.«
Nina schluckte mühsam einen zu großen Bissen Steak hinunter. »Wo denn?«
»In der Schweiz. Das können wir gleich vergessen, wegen der Grenze. Aber sonst ist Reto gar nicht übel.«
Nina stellte den leer gegessenen Teller zur Seite und streckte sich satt und zufrieden wieder auf dem Bett aus.
Beates Blick glitt an ihren Beinen hinab. »Sag mal, hattest du auf dem Ausflug heute Probleme mit deinen Füßen?«
Nina stutzte kurz, verdrehte dann aber genervt die Augen. »Sag bloß, unser Liebling hat mit dir geredet?«
»So kann man das nicht gerade nennen. Er hat sich nur nach deinen Füßen erkundigt. Was war denn los?«
Nina winkte ab. »Alles in Ordnung. Wie findest du diesen Eggerth denn?«
»So heißt er also? Er hat sich mir nicht vorgestellt.«
»Pass bloß auf bei dem! Der ist noch unverschämter als wir dachten. Wenn wir nicht so einen schönen Tisch hätten, würde ich glatt den Platz wechseln.«
»Apropos Platzwechsel. Auf dem Pool-Deck steigt jetzt eine dufte Christmas-Party. Reto hat uns auf einen Drink eingeladen.« Beate erhob sich und betrat den Schrankraum, um Ninas Garderobe zu inspizieren.
Nina zögerte. Die Feier reizte sie durchaus, aber die Abscheu, mit ihrem dröhnenden Kopf aufstehen und sich stylen zu müssen, war stärker.
»Gib dir keine Mühe«, rief sie Richtung Schrankraum. »Heute kriegen mich keine zehn Pferde mehr aus dieser Kabine.«
Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch
Kommissar Winter lehnte auf der Galerie über dem Pool-Deck und sah auf die Reihen von Sonnenliegen hinunter. Er beobachtete Beate und Nina, die sich dort in der Sonne rekelten. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Es war nicht schwer gewesen, mit den beiden ins Gespräch zu kommen. Seine Tarnung, mit der er sich noch immer nicht besonders anfreunden konnte, funktionierte. Keine der beiden ahnte, wer er
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