Colombian Powder
bescheuerten Internetladen?«
Nina biss sich auf die Lippen. »Es bleibt mir nichts anderes übrig, als alleine zu gehen.«
Beates Stirn legte sich in Falten. »Alleine? Ich weiß nicht.«
»Hast du einen anderen Vorschlag? Es ist ja nicht weit. Ich mache mich am besten gleich auf den Weg, solange es noch hell ist.«
Beate zögerte kurz, zeigte dann aber auf ihre Handtasche. »Im Seitenfach ist der Stadtplan. Damit müsstest du das Lokal ganz leicht finden.«
»Und der Laden hat auch ganz bestimmt offen? Heute ist immerhin ein tief katholischer Feiertag«, sagte Nina, während sie in Beates Tasche kramte.
Beate winkte ab. »Es steht extra auf deren Homepage: Open at Christmas.«
»Avenida 4, 4a Calle E «, las Nina stirnrunzelnd vor, als sie die Beschreibung gefunden hatte.
»Dreh den Zettel um, auf der Rückseite habe ich den Weg grob markiert.«
Mit Beates eilig hingekritzelter Nachricht für Ramon, einer Handvoll Lempira, der hiesigen Währung, und dem großen Versprechen, vorsichtig zu sein, verließ Nina flotten Schrittes das Schiff. Durch Beates Unfall hatten sie viel Zeit verloren, und die Sonne stand bereits tief über den Bergen im Westen.
Der Hafen von Puerto Cortes war verkommen. Verrostete Frachtschiffe duckten sich an algenüberwucherte Docks. Haushohe Containertürme versperrten den Blick, und aufgrund des ersten Weihnachtsfeiertages stand jegliche Arbeit still. Um das Hafengelände zu verlassen, musste Nina einen schäbigen Wellblechbau durchqueren und gelangte auf eine belebte Hauptstraße. Neben dem Ausgang parkten Taxis am Seitenstreifen und warteten auf Kundschaft. Unschlüssig blieb Nina stehen. War es nicht besser, sich von einem Taxi zu der Adresse fahren zu lassen?
Sie zuckte zusammen, als sie plötzlich angesprochen wurde. Ein schlaksiger junger Mann hielt ihr schüchtern lächelnd einen grellgrünen Zettel entgegen. Im anderen Arm hielt er noch einen ganzen Stapel davon. Nina nahm ihn an und warf einen kurzen Blick darauf. Es war eine Werbung für einen Kleidermarkt, der in diesen Tagen in Puerto Cortes stattfand. Weil sie nicht unfreundlich sein wollte, steckte sie den Zettel in die Hosentasche, auch wenn ihr der Sinn nach ganz anderem als einem Marktbummel stand. Der Bursche wollte schon weiter gehen, als Nina ein Gedanke kam. Sie hielt ihm den Stadtplan hin und deutete auf die Adresse des Internet-Cafés. Er überlegte kurz, dann erhellte sich seine Mine und er nickte.
»Is it far?”, fragte Nina in der Hoffnung, dass er Englisch verstand.
»Solo tres minutos.” Der Junge nickte erneut bekräftigend und deutete die Straße hinauf.
Drei Minuten? Nina entschied, wegen einer so kurzen Strecke kein Taxi zu nehmen und machte sich auf den Weg.
Tatsächlich tauchte nach wenigen Metern der Parque Central vor ihr auf, der auch auf der Karte verzeichnet war. Diese kleine, wenig gepflegte Parkanlage bildete mit einigen Bars und Geschäften offenbar das Zentrum des Hafenviertels. Am heutigen Feiertag waren viele Leute unterwegs, und die Stimmung ähnelte der eines Volksfestes. Die Cafés waren gut besucht, und auf dem Weg durch die Anlage hatten ein paar Händler ihre Verkaufsstände aufgebaut.
Schnell verglich Nina die abzweigenden Straßen mit dem Stadtplan. Beate hatte ihr erklärt, dass die Hauptstraßen hier Avenidas und die Querstraßen Calles hießen. Dann setzte sie sich wieder in Bewegung und bog an der nächsten Ecke ab. Sie war so auf die Straßenschilder konzentriert, dass sie den Mann nicht bemerkte, der ihr folgte.
An einer Kreuzung blieb Nina stehen und sah sich wieder um. Die Abgase der vorbeituckernden Autos nahmen ihr den Atem, und sie spürte Rinnsale aus Schweiß ihren Rücken hinunterlaufen. Jetzt erst fiel ihr auf, wie armselig die Häuser waren, kleine Bauten aus rohen Betonziegeln und Wellblech.
An einer Hauswand entdeckte sie die Bezeichnung 4a Calle C, linkisch hingepinselt. Das gesuchte Lokal konnte also nicht mehr weit entfernt sein. Sie würde einfach die Querstraßen abzählen, und die übernächste müsste demnach die richtige sein. Tatsächlich las sie an der nächsten Straßenecke 4a Calle D und beschleunigte erleichtert ihre Schritte.
Ninas Gelassenheit war verschwunden, und sie musste sich eingestehen, dass sie sich völlig allein in dieser Umgebung alles andere als sicher fühlte. Ausgerechnet jetzt und hier meldete sich ihr Unterbewusstsein. Sie könnte noch abspringen. Niemand hatte das Recht, deswegen böse auf sie zu sein. Oder doch?
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