Colombian Powder
kreisenden Gedanken abzulenken. Das Schiff bot genügend Möglichkeiten für Zerstreuung, doch die luxuriöse Ausstattung erschien ihr auf einmal wie Hohn, alles andere als ihre Welt. Selbst die Vorstellung des großzügigen Wellness-Bereichs, der nur auf ihren Besuch wartete, konnte sie nicht locken. Vielleicht brachte sie ein Ausflug auf die Insel auf andere Gedanken. Kurz entschlossen packte Nina ein paar Sachen in ihre Strandtasche und bediente sich aus Beates zurückgelassenen Kleidern. Nina besaß selbst kaum Markensachen und genoss das wohltuende Gefühl eines Batik-Shirts von Dolce & Gabbana auf ihrer Haut. Dazu passten ihre Jeansshorts und der cremefarbene Strohhut, den sie sich in einer der Boutiquen an Bord gekauft hatte. Zufrieden drehte sich Nina vor dem Spiegel und stellte fest, dass sich ihre Laune bei diesem Anblick rapide besserte.
Als sie das Atrium betrat, stach ihr sofort wieder das gelbe Schild mit der Warnung vor frisch gewischtem Boden ins Auge. Sorgfältig umging sie die Marmorfliesen, wobei ihr Blick an der Rezeption hängen blieb. Dort stand Marco und beugte sich über ein Formular. Gerade setzte er schwungvoll seine Unterschrift darauf und reichte es dem Angestellten hinter dem Tresen. Um sich ein weiteres peinliches Geplänkel mit ihm zu ersparen, wandte sich Nina rasch ab und beeilte sich den Ausgang zu erreichen, an dem die Tenderboote ablegten.
In dem wartenden Fährboot herrschte ein drückend feuchtes Klima, und der Schweiß trat ihr auf die Stirn, als sie auf der letzten noch freien Bank Platz genommen hatte. Ein Steward lehnte gelangweilt an der Steuerung und machte keine Anstalten abzulegen, obwohl schon ein Dutzend Passagiere darauf warteten. Nina bemerkte den blinkenden Countdown auf einem Display, der nur noch eine knappe Minute anzeigte. Gerade als die Zeituhr auf null schaltete und der Steward zum Leben erwachte, bestieg Marco als letzter Passagier das Boot. Es hatte keinen Sinn, ihn in der engen Kabine zu ignorieren, also rückte Nina bereitwillig zur Seite.
Spielerisch sah er auf seine Armbanduhr. »Nanu? Sind am Buffet etwa die Brötchen ausgegangen?«
Er trug wie sie eine kurze Hose, und als er sich neben sie setzte, berührten sich ihre nackten Schenkel. Nina ließ sich ihre Anspannung nicht anmerken und konzentrierte sich verbissen auf das Schlingern des Bootes, das rasch beschleunigte und keine zwei Minuten später am Hafen anlegte.
Nina trabte in der kleinen Menge durch die Passkontrolle, ohne sich noch einmal nach Marco umzudrehen. Dahinter lag ein rechteckiger Platz, gesäumt von strohgedeckten Verkaufsständen mit allerhand Touristen-Klimbim. Kurz ließ Nina ihren Blick über die bunten Stände schweifen. Die Gelegenheit Souvenirs zu kaufen war günstig, doch sie wurde von der Tatsache abgelenkt, dass weit und breit kein Taxi zu sehen war. Es gab auch nichts, das einer Bushaltestelle ähnlich sah. Am Ende des Platzes blieb sie schließlich ratlos stehen. Wenn sie von hier nicht fortkam, blieb ihr nichts anderes übrig, als mit dem nächsten Tenderboot wieder zum Schiff zurückzufahren.
»Haben Sie das Taxi bestellt, Madame?«, hörte Nina eine unverkennbare Stimme hinter sich. Marco war herangekommen und klapperte mit einem Autoschlüssel.
»Nun, eigentlich sollte mich eine Stretch-Limousine hier abholen«, bemerkte Nina sarkastisch. »Einfach kein Verlass auf die Südländer.«
»Wo möchtest du denn hin?« Marco drückte auf den Schlüssel, und in der Reihe geparkter Wagen leuchteten die Rücklichter einer rostroten Touristenkutsche auf. »Es ist zwar kein Lincoln, aber du kannst gern ein Stück mitfahren.«
Nina zögerte nur kurz. »Weißt du, ob es in der Nähe einen schönen Strand gibt?«
Galant hielt ihr Marco die Autotür auf und schwang sich danach auf den Fahrersitz.
»Strände gibt es hier überall. Dabei ist das wirklich Schöne die Insel selbst.« Ein eroberndes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Ich werde heute einen Freund aus früheren Zeiten besuchen. Er besitzt ein Restaurant in Pampatar. Hast du Lust, mich zu begleiten?«
Das spontane Angebot überrumpelte Nina, und sie wusste im ersten Moment nichts darauf zu erwidern. Einen kurzen Moment schlug ihr Herz schneller bei dem Gedanken, den ganzen Tag mit Marco zu verbringen. Gleichzeitig hielt ihr Verstand die Rote Karte hoch. Es war alles andere als klug, die Einladung anzunehmen. All die Vorsätze von gestern Abend überschlugen sich in Sekundenschnelle in ihrem Kopf und
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