Colombian Powder
machten sie richtig schwindlig.
Sie spürte Marcos Blick auf sich, der sie abwartend ansah und wünschte, er würde die Sonnenbrille abnehmen, damit sie den Ausdruck seiner Augen deuten konnte.
»Komm schon, Prinzessin. Ich zeige dir auch einen Strand, versprochen.« Er wartete ihre Zustimmung erst gar nicht ab, sondern startete ganz selbstverständlich den Wagen. Hypnose war das einzige Argument, das Nina einfiel, als sie widerstandslos nickte und sich artig anschnallte.
Marco hatte nicht zu viel versprochen. Die Landschaft war interessant und abwechslungsreich, und Nina konnte sich an der exotischen Vegetation nicht sattsehen. Sie hatte das Seitenfenster heruntergekurbelt und ließ den Fahrtwind ihr erhitztes Gesicht kühlen. »Hier ist es wirklich wunderschön«, rief sie begeistert aus, als das Auto eine Hügelkuppe mit Ausblick auf ein grünes Tal passierte.
»Es gibt eine nette Legende über die Entstehung der Insel«, sagte Marco und schaltete auf der abfallenden Straße einen Gang zurück. »Man erzählt sich, dass sie aus einer Engelsträne entstand, die aus dem Himmel ins Meer gefallen ist.«
»Und warum weinte der Engel?«
»Hm, keine Ahnung. Durch die Legende hält sich hier der Glaube, dass Tränen heilen können.«
»Sagt man das nicht auch von den Tränen des Phönix?«
»Kann schon sein. Der Glaube hier bezieht sich eher auf menschliche Tränen. Wenn wir uns als Kinder verletzt haben, hat unsere Mutter die Wunde als Erstes mit unseren Tränen benetzt.«
»Hat es denn geholfen?«
»Ich glaube schon. Wir waren ja auch überzeugt davon.«
»Die Legende passt irgendwie zu dieser Landschaft. Vielleicht hat der Engel ja geweint, weil es auf der Erde kein Paradies mehr gab?«, philosophierte Nina.
»Und seine Träne hat ein Stück davon zurückgebracht. Diese Vorstellung gefällt mir.« Marco schenkte ihr wieder sein hinreißendes Lächeln.
»Warum nicht? So ähnlich stellt man sich das Paradies doch vor. Schön warm, grün, tolle Sandstrände …«.
»Und wie sieht dein persönliches Paradies aus?«
Diese Frage überraschte Nina, und sie war nicht sicher, was sie darauf antworten sollte. »Gibt es das überhaupt?«
Marco sah kurz zu ihr herüber. »Du zweifelst daran? Hast du keine Idealvorstellung von deiner Zukunft?«
Sofort glitt ein eisiger Finger an Ninas Wirbelsäule hinauf. Sie hatte sogar genaue Vorstellungen, was ihre nächste Zukunft betraf, und Marco ahnte nicht, dass er darin eine nicht unwesentliche Rolle spielte.
Bevor Marco weiterfragen konnte, gelangten sie an eine Kreuzung, an der er das Tempo drosselte und sich orientierte. Dann bogen sie in eine kleine Nebenstraße ein, die direkt an die Küste hinausführte.
»Die Familie meiner Großmutter besaß hier ein Ferienhaus, eine richtige Hazienda«, erklärte Marco. »Als wir noch in Caracas lebten, haben wir hier jedes Jahr Urlaub gemacht.«
»Gibt es das Haus nicht mehr?«
Er schüttelte den Kopf. »Seit einigen Jahren wird die Gegend landwirtschaftlich genutzt, und die paar alten Villen mussten dem Fortschritt weichen.«
Marco parkte den Wagen neben einem hölzernen Steg, hinter dem ein Sandstrand durch das dichte Gebüsch leuchtete.
»An diesem Strand habe ich als Kind oft gespielt.« Sein Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an, als sie die Schuhe auszogen und barfuß durch den puderfeinen Sand stapften, der in der Sonne glühend heiß, im Schatten der Palmen aber angenehm kühl war.
Er brauchte nichts weiter zu sagen. Nina spürte auch so, dass dies ein besonderer Ort für ihn sein musste.
Die Bucht war nicht groß und wurde von wucherndem Unterholz begrenzt. Hierher schienen sich nur selten Badegäste zu verirren. Die starke Brandung, die im gemächlichen Rhythmus den Strand hinauf schäumte, lud auch nicht gerade zum Baden ein.
Sie hatten fast das Ende der Bucht erreicht, als Marco unvermittelt stehen blieb.
»Das Bootshaus«, murmelte er mehr zu sich selbst. »Sie haben es stehen gelassen!«
Vor ihnen rückte die Vegetation wieder bis an die Wasserlinie heran und ging in dicht bewachsenes Marschland über. In einiger Entfernung stand ein altes Bootshaus.
Nina beschattete die Augen vor der Sonne, um es besser erkennen zu können. »Hat das deiner Familie gehört?«
»Ja. Das war früher einer meiner Lieblingsplätze«, antwortete Marco und suchte nach einem Weg durch das Dickicht. Tatsächlich war noch ein schmaler, verwilderter Pfad zu erkennen, der sie direkt zur Hütte führte. Der ehemals rote
Weitere Kostenlose Bücher