Colombian Powder
Pooldecks stand, hob zerstreut den Kopf. Neben ihr war der Animateur mit den Rastalocken aufgetaucht. Ihm folgte eine Gruppe von Arbeitern, die einen Stapel schwarz lackierter Bretter trugen.
»Das ist ein Teil der Bühne für die Silvesterfeier«, erklärte er, als Nina artig Platz machte und den Trupp vorbei ließ. »Das Motto lautet Piraten der Karibik.«
Er schien Nina erst in diesem Moment zu erkennen, denn er gab den anderen ein Zeichen, ohne ihn weiterzugehen. Genau das, was ihr in ihrem Zustand noch gefehlt hatte.
Mit strahlender Miene musterte er Nina ungeniert. »Ich bin mir sicher, du wirst die heißeste Piratenbraut des Abends sein. Reservierst du mir einen Tanz?«
Nina fühlte seinen Blick auf ihrem Dekolleté und verschränkte schnell die Arme vor der Brust. Sie hatte es so eilig gehabt aus der Kabine zu kommen, dass sie immer noch das tief ausgeschnittene Top trug, das sie eigentlich nur zum Schlafen anzog.
»Ich glaube, ich habe an Silvester Kopfschmerzen«, antwortete sie patziger als beabsichtigt.
Dabei fiel ihr ein, dass sie für den bevorstehenden Anlass gar nichts zum Anziehen dabei hatte. Allmählich sickerte zu ihr durch, was diese Planänderung außer der ungelösten Kleiderfrage noch so alles bedeutete. Nina umklammerte das kühle Stahlrohr der Reling so fest, dass die Knöchel ihrer Hände weiß hervortraten. Ramon, Beate und sie selbst waren sich doch einig gewesen, dass Ninas Part als Lockvogel in Venezuela endete und sie in aller Ruhe einen Flug von Caracas zurück nach Deutschland nehmen würde. Keinen einzigen Moment hatte Nina daran gedacht, dass sich diese Vereinbarung in Schall und Rauch auflösen könnte. Sie hatte einfach auf Beate und deren Erfahrung vertraut, wie ein Kätzchen, das man mit Milch gelockt hatte. Und plötzlich sollte das Gelingen der ganzen Aktion allein in Ninas Händen liegen? Bei dem Gedanken daran krampfte sich ihr Magen schmerzhaft zusammen. Ob das alles geplant war und Beate sie so oder so ins Feuer schicken wollte?
»Alles in Ordnung?« Der Animateur sah sie merkwürdig an und schien durch ihre Abfuhr etwas verunsichert. Offensichtlich versprühte sie im Moment keine sonderlich entspannte Urlaubslaune.
Der Ruf eines Arbeiters erscholl vom Pool her, und der Typ trollte sich endlich.
Nina seufzte leise und legte den Kopf in den Nacken. Sie hatte nicht so abweisend sein wollen, aber im Moment stand ihr der Sinn ganz und gar nicht nach Konversation. Langsam bewegte sie ihre verspannten Schultern und verzog das Gesicht. Gemeinsam mit Beate hatte sie den präparierten Koffer vorhin gründlich gewienert. Diese Anweisung hatte Ramon ihnen noch in Deutschland gegeben. Falls tatsächlich etwas schief ginge, dürfe weder im Koffer noch auf dem Inhalt ihre DNA oder Fingerabdrücke zu finden sein, hatte er ihnen eingetrichtert. Nun befanden sich wieder die nagelneuen, unbenutzten Kleidungsstücke darin, die sie extra für diesen Zweck in Berlin gekauft hatten, und das brisante Gepäckstück hielt wieder Dornröschenschlaf im Schrankraum.
Es dämmerte bereits und der Himmel sah nach Regen aus, was zu Ninas trüber Stimmung passte. Obwohl sie nun seit Stunden wach war, fühlte sie sich immer noch benommen und wackelig auf den Beinen. Beate würde alleine zum Abendessen gehen, wenn sie noch eine Weile hier stehen blieb. Ninas Magen fühlte sich an wie verknotet, beim bloßen Gedanken an Essen wurde ihr übel. Die Nerven lagen blank. Vermutlich war es weniger die Nachwirkung des Kokains, als vielmehr die aufreibende Mitteilung, mit der Beate sie überfallen hatte. Jetzt legte die Angst richtig los – am liebsten wäre sie über die Reling gesprungen. Dass der Kater der Droge und die Planänderung sich toll in ihrem Oberstübchen ergänzten, bedachte sie in diesem Augenblick nicht.
Nina seufzte so tief, dass zwei hinter ihr vorbeispazierende Passagiere mitleidige Gesichter machten. Sie konnte trotz der Probleme, die sie buchstäblich am Hals hatte, nicht verhindern, auch immer wieder an die vergangene Nacht zu denken. Trotz ihres berauschten Zustandes erinnerte sie sich an jedes Detail. Sie fühlte noch immer Marcos Hände und Lippen auf ihrem Körper, aber auch den befremdlichen Blick, mit dem er sie von sich geschoben hatte. Sie quälte sich nicht mit der Frage, was in aller Welt sie zu diesem Handeln bewegt hatte. Schließlich hatte Nina genau gewusst, in welchem Zustand sie sich befand, als sie zuließ, dass er zu ihr ins Wasser kam. Im Grunde war ihr klar,
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