Colombian Powder
Korn im Blut statt Stroh im Kopf stand auf einer zerkratzen Schiefertafel neben dem Eingang. Nicht nur von außen sah das Lokal verlottert aus. Hier verkehrte ein eher individuelles Publikum, das Diskretion schätzte und gerne unter sich blieb. Nie hätte sich Nina früher träumen lassen, dass sie eines Tages freiwillig in einer solchen Spelunke verkehren würde. Doch es war Beates Stammkneipe, und sie war die Einzige, die seit Ninas Ankunft in Berlin engeren Kontakt mit ihr gesucht hatte. Schon aus Dankbarkeit war Nina einverstanden gewesen, hierher zu kommen, und langsam störten sie die karge Einrichtung und der süßliche Geruch des Shits, der hier geraucht wurde wie anderswo eine Marlboro, nicht mehr.
Bis auf wenige Stammgäste, darunter ein paar Teenager, die im hinteren Teil Poolbillard spielten, war die Kaschemme noch leer. Nina entdeckte Beate auf Anhieb. Wie immer ein Blickfang, hochgewachsen und gertenschlank. Ihre kastanienfarbenen Locken waren üppig toupiert, und beim Näherkommen bemerkte Nina hauchdünne eingeflochtene Goldschnüre darin.
»Oje, oje«. Beate rückte einen Hocker für Nina zurecht. »Deine Miene auf einer Briefmarke und die Post geht pleite. Was ist passiert?«
Hinter dem Tresen stand Ferdinand, der Boss. Würde Nina ihn inzwischen nicht so gut kennen, wäre sein Anblick noch immer bedrohlich für sie gewesen. Der Herkules, so sein Nickname, wog annähernd zwei Zentner und hatte eine Vorliebe für großflächige Tätowierungen, was seine beiden Oberarme unübersehbar kundtaten. Bei ihrem ersten Besuch hatte Nina vor allem über seinen bizarren Haarschnitt gestaunt. Eine spiegelglatte Glatze bedeckte seinen nicht gerade zarten Schädel, nur im Nacken fiel ihm ein buschiger Pferdeschwanz über den Rücken.
Nina nahm auf dem Hocker Platz und ließ sich von Ferdinand Herkules als Begrüßung den obligatorischen Gin Fizz kredenzen – mehr Gin, als Fizz. Beate hatte auch einen vor sich stehen.
»Sag mal, gibt es einen besonderen Anlass für dein Haarstyling?«, vorsichtig berührte Nina eine der Goldschnüre. Die Flechtarbeit musste eine Ewigkeit gedauert haben.
Beate lächelte verschmitzt. »Allerdings. Ramon ist in der Stadt.«
Ein wissendes Lächeln huschte über Ninas Gesicht. Nun wurde ihr klar, warum sich Beate am Telefon so zurückhaltend gegeben hatte. Ramon da Bona war ein südamerikanischer Geschäftsmann, der in Berlin eine PR-Agentur betrieb. Wann immer er in der Stadt zu tun hatte, ließ er sich von Beate begleiten und verwöhnte sie in dieser Zeit über alle Maßen. Vor einigen Wochen hatte er ihr sogar eine Anstellung in seiner sagenumwobenen Agentur angeboten. Was diese Agentur trieb, das wusste vermutlich nicht einmal Ramon – nur eines war Sache, Geld war immer und ausreichend in der Kasse.
»Erzähl«, forderte Beate die Freundin erneut auf.
Augenblicklich verfinsterte sich Ninas Miene, und sie schilderte, was sich abgespielt hatte.
»Gott sei Dank!«, seufzte Beate. »Ich dachte schon, Bürkers muss dich auf den Gemüsekisten flachlegen, bis du ihm endlich in den Arsch trittst!«
»Es ist bedeutend moralischer eine Bank zu berauben, als eine zu gründen«, zitierte Ferdinand, der Ninas Worte zwangsweise gehört hatte, mit seiner tiefen Bassstimme und knallte einen Teller mit belegten Broten vor ihnen auf den Tresen. »Hunger?«
Seiner Meinung nach musste eine Frau mindestens Kleidergröße 42 tragen, um als geschlechtsreif zu gelten, und so zauberte er bei jedem Besuch der beiden Freundinnen etwas zu essen herbei. Nina beäugte die dicken Brotschnitten kritisch und dachte lieber nicht darüber nach, ob er sich vor der Zubereitung die Hände gewaschen hatte.
»Hast du eigentlich eine Antwort auf deine Bewerbungen bekommen?«, wollte Beate wissen.
Nina zeigte mit dem Daumen nach unten. Mittlerweile wusste sie gar nicht mehr, wie viele Bewerbungen sie schon verschickt hatte, um den Begriff Geldnot endlich versenken zu können. Die Stelle als Kassiererin sollte ursprünglich nur als Übergangslösung dienen, und zu Beginn war Nina auch voller Zuversicht gewesen, Bürkers Avancen bald wieder Adieu sagen zu können. Mittlerweile hatten sich die rosaroten Wolken gelichtet, und sie musste erkennen, wie schwer es war, ganz auf sich allein gestellt zu leben.
»Jetzt mach dir mal keine Sorgen, mein Mieke«, mischte sich Ferdinand wieder ein. »Das kommt wieder auf die Reihe«.
»Ihr habt ja alle leicht reden«, erwiderte Nina niedergeschlagen. »Ihr verdient alle
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