Colorado Saga
Mrs. Zendt. Zu Beginn hatte es Frittatensuppe mit drei Sorten Brot gegeben.
Reverend Fenstermacher, der die ganze Pracht mit geübtem Blick betrachtete, stellte fest, daß es diesmal keinen Pfannkuchen gab.
Als sich die acht Personen gesetzt hatten, blickte Mahlon den Geistlichen auffordernd an. Reverend Fenstermacher war bereit. Er hatte den ganzen Tag über gegrübelt, was zu sagen wäre, wenn er mit den Zendts zu Tisch saß. Er blickte über die geneigten Köpfe hin und rief: »O Herr, heute haben wir in unserer Mitte einen argen Sünder, der sich wie ein Tier, wenn nicht noch schlimmer, benommen hat.«
Dies waren die einleitenden Worte. Danach sprach er über Levi Zendts fromme Erziehung, den lauteren Charakter seines Vaters und seiner Mutter, die, gelobt sei der Herr, noch unter den Lebenden weile, und besonders über Großvater Zendt, der angesichts der Schande, die sein Enkel über die Familie gebracht habe, unendliche Qualen im Himmel leide.
Mitten in der Ansprache Reverend Fenstermachers fiel der provokante Satz: »Ein solcher Mann soll zu den Wilden gehen und unter ihnen leben.« Das Gebet endete mit dem hoffnungsvollen Ausblick auf Errettung, falls Levi die nächsten vierzig Jahre seines Lebens in bußfertiger Reue verbringen würde, woran er, Fenstermacher, nicht zweifle.
Das einzige, was Levi von der ganzen Rede behielt, war das mit dem Weggehen und unter den Wilden leben, und während die anderen gierig aßen, hielt er das kantige, störrische Gesicht gesenkt, lehnte die Speisen ab und dachte an einen Namen, den er kürzlich gehört hatte: Oregon. Auf dem Markt hatte er einmal Männern aus Massachusetts zugehört, die den weiten Weg nach Lancaster gekommen waren, um zwei Wagen zu kaufen. »Wir ziehen nach Oregon«, hatten sie gesagt. »Es ist die neue Welt. Riesige Gebiete, in denen nur Wilde wohnen.«
Er hatte nicht gewußt, wo Oregon lag, doch als dann eine andere Gruppe von Männern und Frauen in Lancaster auftauchte, um Wagen und Gewehre von Melchior Fordney zu kaufen, und beim Stand der Zendts geräuchertes Fleisch erstehen wollte, hatte er sie gefragt: »Wo liegt Oregon?«
»Zweihundertfünfzig Tage westwärts von hier. Aber es ist ein herrliches Land. Malachi, der Leiter unserer Gruppe, war schon mal mit dem Boot da.«
Oregon, das Land der Wilden. Oregon, das freie Land, das neue Leben!
Dienstag elf Uhr, der Markt überfüllt von den üblichen Käufern und von Sensationslüsternen, die gehört hatten, daß sich Levi Zendt öffentlich entschuldigen würde. Unnachgiebig führte der düster blickende Mahlon seinen jüngsten Bruder durch die Menge zum Stand von Peter Stoltzfuß. Mit lauter Stimme rief er: »Bruder Stoltzfuß, hier ist ein Mann, der mit Euch sprechen will.« Peter Stoltzfuß, in die übliche weiße Schürze gekleidet, lehnte sich über die Theke und schaute finster den Mann an, der versucht hatte, seine Tochter zu vergewaltigen. »Becky, komm her!« rief er, und aus dem Hintergrund des Standes trat Rebekka Stoltzfuß hervor. In dem sorgfältig gebügelten Kleid und der blütenweißen Haube mit den baumelnden Bändern sah sie so frisch und so unschuldig aus, daß die Zuschauer bei dem Gedanken, ein zur Bestie gewordener Mensch habe versucht, dieses reine Wesen zu besudeln, tiefe Seufzer hören ließen. Einige Frauen dachten daran, daß auch sie einmal so jung und schön gewesen waren, und sie fingen vor Rührung zu schluchzen an.
Ein unbeholfenes Schweigen entstand, worauf Mahlon Levi in den Rücken stieß und der mit so leiser Stimme zu sprechen begann, daß niemand etwas verstehen konnte.
»Lauter!« schrien einige Männer.
»Es tut mir leid, Bäcker Stoltzfuß«, sagte Levi. Mehr brachte er einfach nicht heraus, und Mahlon verkrampfte sich vor Zorn angesichts dieser neuen Demütigung.
Der tote Punkt wurde von Peter Stoltzfuß überwunden, der sich vorbeugte und Levi einen Schlag auf die Nase versetzte. Levi taumelte rückwärts, stolperte über Mahlons Füße und fiel der Länge nach flach auf den Boden hin. Die Menge rief Beifall, und eine dunkle Männerstimme schrie: »Gib ihm noch eine, Peter.«
Damit war die Entschuldigungszeremonie vorbei. Mahlon wendete sich angeekelt von seinem Bruder ab und ging mit den drei anderen zu ihrem Verkaufsstand, wobei sie Peter Stoltzfuß und seiner Tochter beipflichtend zunickten. Rebekka nahm an der Theke die Mitleidsbezeigungen der Frauen entgegen. Levi Zendt blieb noch einen Augenblick lang auf dem Boden liegen, weil er zu
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