Colorado Saga
herunter. Als Mahlon ihn schwarz wie Satan aus der Hölle auftauchen sah, machte er eine Bewegung, als wollte er ihn schlagen, doch Levi ergriff eine schwere Stange, die zum Herunterholen der Schinken diente, und schwang sie drohend.
»Er ist wahnsinnig geworden«, rief Mahlon. »Er fällt über mich her!«
»Das stimmt nicht«, erwiderte Levi schwerfällig. »Du fällst über mich her.« Aber er behielt die Stange weiter in Händen.
Die drei Brüder kamen herbeigelaufen und
entwaffneten Levi. Dann zerrten sie ihn in die Küche und zwangen ihn auf einen Stuhl. Sie standen um ihn herum mit ihren würdevollen Bärten wie eine
Versammlung alttestamentarischer Richter und
warteten schweigend darauf, daß Mahlon zu reden anfing.
»Du Schwein!« brüllte er Levi ins Gesicht. »Du Satansbrut!«
Levi hielt sich weder für ein Schwein noch für ein Kind des Teufels. Er war lediglich ein junger Mann in der Phase der Sprunghaftigkeit, und obwohl er sehr verwirrt war, wußte er, daß Rebekka Stoltzfuß durchaus freiwillig in seinen Schlitten geklettert war. In diesem Augenblick störrischer Verlegenheit entschloß sich der vierundzwanzigjährige Levi Zendt, sich von seinen Brüdern nicht einschüchtern zu lassen. »Ich hab' nichts Böses getan«, protestierte er.
Daß er es auch noch wagte zu widersprechen, nachdem er offensichtlich etwas sehr Böses getan hatte, machte die Brüder nur noch wütender, und sie rückten ihm so bedrohlich nahe, daß ihre Mutter zu protestieren begann: »Hört mal! Wenn Levi sagt, daß er... «
»Du hältst dich hier raus, Mutter«, sagte Mahlon warnend und gab Jacob einen Wink, die alte Dame aus der Küche zu führen.
Als Jacob zurückkam, begannen die vier Brüder gleichzeitig auf Levi einzubrüllen, er sei wohl verrückt geworden, er hätte ihnen Schande gemacht und den Familiennamen in den Dreck gezogen.
»Alle in Lancaster reden darüber«, schloß Jacob bitter.
Einem unbestimmten Impuls folgend, sagte Levi: »Du warst gar nicht in Lancaster. Du hast gearbeitet...« Dieses logische Argument trieb die Wut der Brüder auf den Siedepunkt, und der stämmige Caspar kam drohend näher, doch da rief Mahlon mit gequälter Stimme: »Wußtest du denn nicht, daß ich selbst um das Stoltzfuß-Mädchen werben wollte?«
Levi blickte hinauf in das Gesicht seines Bruders, das verzerrt war vor Scham, Zorn und Haß, und der Jüngste fing langsam an zu begreifen, was geschehen war. Der dreiunddreißigjährige Mahlon hatte sich endlich ein Mädchen erwählt, das aus guter Familie stammte und beträchtliches Land als Mitgift bekommen würde, da er jedoch ein vorsichtiger Mann war, wollte er nichts überstürzen. Folglich hatte er dem Mädchen bloß vage seine Pläne angedeutet und sich dann wieder zurückgezogen, um alle Gesichtspunkte noch einmal gründlich zu überlegen. Und das Mädchen war ungeduldig geworden und hatte Levi dazu benutzt, um Mahlon Dampf zu machen. Wie gut ihr das doch gelungen war!
»Mahlon wollte um das Stoltzfuß-Mädchen anhalten«, erklärte Christian für den Fall, daß dem Angeklagten diese Erkenntnis entgangen war, und die nächste halbe Stunde wiederholten alle vier Brüder immer wieder, was für ein großes Unrecht er Mahlon, dem Haupt der Familie, angetan hätte. Keiner von ihnen nannte Rebekka beim Namen. Sie war das Stoltzfuß-Mädchen, Besitztum des Bäckers Stoltzfuß und Erbin seiner Äcker.
Schließlich fällte Mahlon das Urteil. »Du darfst nicht mehr auf dem Markt arbeiten, so viel ist klar. Du bleibst zu Hause und erledigst deine Arbeit, und am Abend kommst du dann zum Markt und räumst unseren Stand auf.«
»Wie komme ich hin?« fragte der praktisch veranlagte Levi.
»Zu Fuß«, entgegnete Mahlon. »Wir lassen dir einen Schlitten am Markt.«
»Du bist ein Schandfleck der Familie«, sagte Christian.
Mahlon fuhr fort zu reden. »Und am Dienstag fährst du mit mir zum Markt und entschuldigst dich bei Peter Stoltzfuß... und bei dem Mädchen. Öffentlich, damit es jeder sieht.«
Nun vergrub Levi das Gesicht in den Händen und murmelte: »Ich will dort nicht mehr hin.«
»Das glaub' ich dir gern«, rief Mahlon, der in seinem Stolz verletzt war. »Aber es ist die einzige Möglichkeit, daß unsere Familie ihre Ehre wiedererlangen kann. Deine Entschuldigung vor dem ganzen Markt.«
Dieser Samstag war die pure Hölle. Levi ging in die Räucherkammer zurück, in deren düsteren Tiefen er Zuflucht und Trost fand. Mit großer Sorgfalt wählte er
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