Colorado Saga
zitternd durch die Vorhänge hinaus. »Schau!« flüsterte er heiser vor Angst und zeigte auf Dumire und zwei Gehilfen, die eine lange Leiter zum Brunnen schleppten.
Mervin blieb am Fenster stehen und beschrieb seiner Frau, was der Sheriff und seine Männer eben unternahmen. »Mein Gott!« rief er auf einmal. »Dumire steigt in den Brunnen hinunter.«
In diesem spannungsgeladenen Augenblick betrat Philip durch die hintere Tür das Haus und rief: »Was gibt's zum Essen?« Als seine Mutter keine Antwort gab, kam auch er ins vordere Zimmer, wo die beiden wie erstarrt vor dem Fenster standen. Er eilte zu ihnen und sah gerade noch, wie Sheriff Dumire in den Brunnen stieg.
Philip fing zu lachen an und beruhigte seinen Vater: »Dort wird er gar nichts finden.«
»Wie kannst du das sagen?« schrie Mervin, ließ den Jungen stehen und griff nach der Hand seiner Frau. »Weil ich es weiß«, antwortete sein Sohn. »Was gibt's zum Essen?«
Seine Eltern konnten sich nicht vom Fenster losreißen, und bald sahen sie Dumire wieder aus dem Brunnen klettern und mit einem Zucken der Schultern andeuten, daß er unten nichts Besonderes gefunden hätte. Mrs. Wendell seufzte tief auf und bekam nicht mehr mit, was sonst noch beim Brunnen geschah, denn ihre Aufmerksamkeit wurde durch einen dumpfen Plumps abgelenkt: Mervin Wendell war in Ohnmacht gefallen.
Aber Sheriff Dumire hatte doch etwas gefunden. Ein Stück Stoff, das er triumphierend ins Railway-Arms-Hotel brachte und den Stubenmädchen zeigte, in der
Hoffnung, daß sie es als ein Stück von Sorensons Kleidung erkennen würden. Aber er hoffte vergebens. Das Stück Stoff stammte von jenem Hemd, das Philip getragen hatte, als er in den Brunnen hinuntergestiegen war. Obwohl Dumire jetzt ein Beweisstück in Händen hatte, nützte ihm das überhaupt nichts, denn nachdem der Junge dem Sheriff ins Hotel gefolgt war und vom Portier erfahren hatte, was der Sheriff von den Mädchen hatte wissen wollen, begriff er sofort, worum es ging, eilte nach Haus, holte das zerrissene Hemd und verbrannte es auf der Stelle.
Am nächsten Tag erlebte Philip einen Augenblick echter Angst. Er hatte im Osten der Stadt mit einigen anderen Jungen gespielt, und auf dem Rückweg bemerkten sie einen Menschenauflauf auf der kleinen Brücke, wo die Mountain Road über den Beaver Creek führte. »Die ganze Stadt ist da!« rief einer der Jungen und rannte hin, um zu sehen, was los war.
»Sheriff Dumire führt irgendwas im Schild!« rief eine Frau. »Ich glaube, er hat den abgängigen Schweden gefunden.«
Und Philip sah mit Entsetzen, daß der schmale Bach voller Boote war. In ihnen standen Männer und suchten den Grund mit Enterhaken ab. Im ersten Boot stand Sheriff Dumire und gab den Männern Anweisungen. Philip beobachtete erschrocken und fasziniert zugleich, wie die Boote sich der Stelle näherten, wo der Eingang zu der Unterwasserhöhle verborgen lag.
»Schaut, ob die Leiche sich nicht irgendwo an den Rändern verfangen hat«, rief Dumire, und die langen hölzernen Stangen stocherten das Ufer ab. Vergebens. »Versucht es hier noch einmal«, rief Dumire, und während sein Boot weitertrieb, sah er zufällig zur Brücke hinauf, wo ein Junge mit aschfahlem Gesicht das zitternde Kinn gegen das Brückengeländer preßte. »Hallo, Philip«, rief der Sheriff.
»Was sucht ihr da?« rief der Junge.
»Verschiedenes«, antwortete der Sheriff, und sein Boot trieb inzwischen an der gefährlichen Stelle vorbei. Einen Augenblick meinte der Junge, er würde in Ohnmacht fallen, aber da rief eine Frau neben ihm: »Viel findet ihr nicht, was, Sheriff?« Und die Boote verschwanden unter der Brücke.
Als dieser gefährliche Tag vorüber war, verwandte Philip seine ganzen schauspielerischen Fertigkeiten darauf, sich mit dem Sheriff wieder gut zu stellen, und seine Schmeicheleien wirkten auf Dumire so überzeugend, daß er schon nach wenigen Tagen wieder vergnügt in seinem Büro ein und aus gehen durfte. Am späten Nachmittag hörte er meistens mit unverhohlener Bewunderung zu, wie der Sheriff über die Vorfälle des Tages berichtete. »Sie müssen sich um so viele Dinge kümmern«, sagte der Junge bewundernd. Einmal hatte er den Sheriff gefragt, ob er auch Kinder hätte, und der Sheriff hatte kurz geantwortet: »Eines.« Es war klar, daß er über dieses Thema nicht weiter sprechen wollte, und Philip sagte: »Ich wäre gern Ihr Sohn.«
Dumire reagierte nicht auf dieses Kompliment, aber er hatte es gehört, und es freute ihn,
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