Colorado Saga
Toten gezählt und die Leichen auf den Bahndamm geworfen.
Gefährlichster Platz in diesem unheimlichen Zug war jener eine Güterwagen, den die Lokomotive vor sich herschob. Das geschah zu dem Zweck, allfällige Minen zur Explosion zu bringen, bevor die Lokomotive die Zündung auslöste. Es waren tapfere Männer, die auf diesem Wagen fuhren, denn sie mußten jeden Augenblick damit rechnen, in die Luft zu fliegen.
Oberst Frijoles, der mit nach Norden fuhr, um seine Streitmacht mit der eines anderen gefürchteten, neu auf den Plan getretenen Kriegers zu vereinigen - eines Mannes namens Pancho Villa -, fragte Tranquilino, ob er und Victoriano als Freiwillige auf dem ersten Wagen fahren wollten. Ohne zu zögern willigte Tranquilino ein, weigerte sich aber, diese Gefahr mit seinem Sohn zu teilen. So kam es, daß, als der Zug in einer Kurve südlich von Casas Grandes in einen Hinterhalt der Regierungstruppen geriet, Victoriano im fünften Wagen hockte.
Die Soldaten hatten eine große Mine unter die Geleise gelegt, und Oberst Salcedo hockte neben dem Mann, der den Hebel drücken sollte, um das Dynamit zur Explosion zu bringen. »Vergiß nicht«, flüsterte er ihm zu, als der Zug sich näherte, »laß den ersten Wagen vorbei. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, sprengst du die Lokomotive in die Luft.« Der Güterwagen mit Tranquilino und seinen tapferen Kameraden kam auf diese Weise sicher vorbei, doch der Mann am Hebel reagierte nicht schnell genug auf Salcedos Zeichen. Die Mine zerstörte nicht die Lokomotive, sondern die zwei folgenden Güterwagen.
Es folgte eine ohrenbetäubende Explosion, Menschen flogen durch die Luft, und einen entsetzlichen Augenblick lang fürchtete Tranquilino, es hätte den fünften Wagen erwischt, aber dem war nicht so; erleichtert blickte er zurück und sah, daß dieser unbeschädigt war.
Aber die Wagen standen jetzt, und die Schützen der Regierungstruppen fingen an, die Rebellen einen nach dem anderen abzuknallen. Verzweifelt mußte Tranquilino zusehen, wie die Männer sich krümmten, wenn eine Kugel sie traf, oder mit zuckenden Bewegungen zur Seite fielen.
»Nein!« schrie er, doch der Kugelregen ging unaufhaltsam weiter, und er sah, wie Victoriano, von Kugeln getroffen, zur Seite sprang. Sechs oder sieben mußten es gewesen sein, die ihn hin und her rissen, bis sein Körper zusammenknickte und zu Boden fiel. »Fahrt weiter!« brüllte Frijoles, und der Zug - die Lokomotive, der Tender und je ein offener Güterwagen vorne und hinten - setzte sich in Bewegung. Die Männer auf den zurückgelassenen Wagen mußten sich, so gut sie konnten, gegen die anstürmenden Soldaten verteidigen.
Von diesem Zeitpunkt an wurden Oberst Frijoles und die anderen Überlebenden zu gnadenlosen Rächern. Ihre Hoffnung auf eine Vereinigung mit Pancho Villa erfüllte sich nicht. Aber es gelang ihnen, einen neuen Zug zusammenzustellen und mehr Männer um sich zu scharen, als sie brauchten. Tod und Verderben säend, fuhren sie auf ihrer eisernen Kavallerie die Northwest Line hin und her. Tranquilino, der es einst nicht ertragen hatte, der Erschießung einer Frau oder eines Priesters zuzusehen, nahm jetzt an Schlachtfesten teil, in deren Verlauf die Bewohner ganzer Haziendas niedergemacht wurden.
Sie erledigten drei von Regierungstruppen besetzte Züge, und einmal, als zwei von Frijoles' Garnituren bei Casas Grandes aneinander vorbeifuhren, sah Tranquilino einen dramatischen Augenblick lang das Mädchen, das er in Denver gekannt hatte -Magdalena. Gewehr in der Hand, Patronengurt über die Brust geschlungen, stand sie in der offenen Tür eines Güterwagens. Ihre Blicke begegneten sich, und er erkannte sie wieder, sie aber hatte schon zu viele Männer auf Zügen gesehen. Sie sahen alle gleich aus. »Magdalena!« rief er, aber sie konnte ihn nicht hören. Es fuhren viele Frauen auf diesen Zügen, wilde Geschöpfe, die vor dem Tod nicht erzitterten und den Männern Mut zusprachen, die ihn fürchteten. Es hatte manchmal den Anschein, als ob sie es wären, die die Revolution, diese unorganisierte, chaotische Bewegung eines empörten Volkes, das seiner Unterdrückung müde war, in Gang hielten. Manchmal kam diese bunt zusammengewürfelte Armee zu einer Hazienda, wo die Dienstmädchen ständig mißbraucht worden waren - die jungen Herren hatten die Mädchen mit vorgehaltener Waffe gezwungen, ihnen zu Willen zu sein -, und es mochte geschehen, daß die angreifenden Männer vor dem Gewehrfeuer der Verteidiger zu weichen
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