Colorado Saga
angepaßt. Banken und Eisenwarengeschäfte, Kaufläden und Bahnhöfe stellten sich auf den Zyklus der Landwirtschaft ein. Am 13. und 14. November, den Tagen vor der Ausgabe der Rübenschecks, herrschte große Aufregung in der Stadt. Die Kaufleute gingen ihre Bücher durch, um festzustellen, auf wieviel sich die Schulden jedes einzelnen Farmers beliefen, und die Kleidergeschäfte taten alles, um ihre Schaufenster attraktiv zu gestalten. Nicht anders ging es zu, wenn eine der großen Ranches einen Viehtransport nach Chicago schickte. Es war, als rüste sich die ganze Eisenbahnlinie für dieses Ereignis, und die Leute strömten zum Bahnhof, um zuzusehen, wie die Ochsen in die Viehwagen verladen wurden.
Einzig die geringen Bevölkerungszahlen der
Vereinigten Staaten und Colorados ermöglichten diese großzügige Lebensweise. Im Jahre 1910 zählten die Vereinigten Staaten 91.972.000 Bürger, Colorado 799.000, Denver 213.000 und Centennial 1036. Ein Rübenbauer konnte seine Felder fünfzehn Meilen außerhalb von Denver anlegen, und kein Mensch kümmerte sich darum, denn keiner war ihm das Land neidig. Die Venneford-Ranch durfte immer noch über Hunderttausende herrenloser Morgen verfügen, einfach darum, weil niemand sich einen besseren Verwendungszweck dafür vorstellen konnte.
So friedlich war also das Leben in den Jahren um 1911 im nördlichen Colorado und in Centennial. Dann erschien Dr. Thomas Dole Creevey auf der Bildfläche, und die landwirtschaftliche Stabilität brach zusammen. Im Aussehen erinnerte Creevey an eine Ente. Er war ein rundlicher, vierschrötiger kleiner Mann mit einem großen Kopf und einer dicken Brille, etwa einen Meter sechzig groß. Er trug einen Anzug, der ihm zu klein war, und eine Weste, deren untere zwei Knöpfe sich nicht mehr schließen ließen. Er legte eine erstaunliche Energie an den Tag, und sein lebhaftes Gesicht strahlte Charakterstärke und Rechtschaffenheit aus. Wie die meisten Fanatiker hatte auch er eine große Entdeckung gemacht, und sie erfüllte sein Leben. Er war ein wahrhaft Glaubender, einer, der die Antwort gefunden hatte und dazu die Kraft besaß, die solch völlige Hingabe erzeugt. Vor allem aber war er ein liebenswürdiger, umgänglicher Mann, dessen Begeisterung seine Zuhörer ansteckte. Die Menschen vertrauten Thomas Dole Creevey und wurden in diesem Vertrauen nie enttäuscht. Natürlich kam es manchmal vor, daß ein Farmer, der seine Methoden anwandte, seinen Ertrag nicht verdoppelte, doch auch der warf ihm keinen Betrug vor, weil er wohl wußte, daß, täte er es, Creevey auf sein Land kommen und ihm beweisen würde, daß er die Wahrheit gesprochen hatte.
Er war ein Revolutionär, ein Mann mit einer Idee, die Bestehendes zertrümmerte, und als er seinen Plan in die Tat umzusetzen begann, bedeutete das das Ende der Harmonie zwischen dem Rancher und dem Farmer. Es war daher ganz natürlich, daß die Männer, die das Land bisher für sich allein in Anspruch genommen hatten, ihn fürchteten, denn er sprach offen aus, daß seine Sendung ihn dazu verhielt, sie herauszufordern.
In der kleinen Stadt Ottumwa in Iowa kam Dr. Creevey zum Ende seines Vortrages. Er sprach zu einer Versammlung von Farmern, die sich im Festsaal der Schule eingefunden hatten, um dem neuen Apostel des Westens zu lauschen. Ein Raunen ging durch die Reihen, als Creevey seine Ausführungen auf dramatische Weise unterbrach und dem Schuldiener zurief: »Bringen Sie den Projektionsapparat herein!« Der Apparat wurde aufgestellt, und während der Diener die handkolorierten Diapositive einschob, zeigte Dr. Creevey seinen Zuhörern, was er auf einem Hof im westlichen Kansas mit einer jährlichen Niederschlagsmenge von fünfunddreißig Zentimetern erreicht hatte. Man sah das Land, bevor Dr. Creevey seine Aufgabe übernommen hatte, und mehrere Bilder von angrenzenden Feldern, die beim Ende des Experimentes ebenso leer waren wie am Anfang. Das beste waren die Bilder von dem, was er im Herbst auf diesem kahlen Boden geerntet hatte: Korn, Weizen, Kartoffeln, Tomaten und Mengen von üppigem Klee. Der Projektionsapparat wurde abgeschaltet, und der Diener schaltete wieder die Beleuchtung an. Dr. Creeveys Schlußworte waren von Aufrichtigkeit und gesundem Menschenverstand geprägt:
»Jeder der hier Anwesenden hat ein gesetzliches Recht auf dreihundertzwanzig Morgen besten Trockenfarmlandes, das Gott uns geschenkt hat. Sie haben nichts weiter zu tun, als hinzufahren, das von
Ihnen beanspruchte Staatsland auf dem
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